DER SPIEGEL 16-1976 (S.162-164)


Drei kleine Köche
Fast zwei Jahrzehnte lang vollführte Prinz Sihanouk eine geschickte politische Ein-Mann-Schau. Jetzt mußte er gehen. Im Lande herrscht rigoroser Sozialismus. Geld wurde abgeschafft.
Jeden Morgen bringt der Verpflegungsdienst der Armee Nahrungsmittel vorbei", so beschrieb Prinz Sihanouk, als er noch Staatsoberhaupt von Kambodscha war, dem britischen Journalisten William Shawcross sein Leben bei den Roten Khmer. „Drei kleine revolutionäre Köche arbeiten für mich. Ich schlafe in dem Bett, das ich einst für mein Vorbild General de Gaulle anfertigen ließ. Da ich sehr klein bin, habe ich es sehr bequem."
Es war möglicherweise die einzige Annehmlichkeit, derer sich Norodom Sihanouk erfreuen durfte, seit ihn die Roten Khmer am 9. September vergangenen Jahres aus dem Pekinger Exil heimkehren ließen — fast ein halbes Jahr nach ihrem Endsieg über die Truppen des Generals Lon Nol.
Offiziell begründeten die neuen Machthaber die Verzögerung damit, daß der Königspalast von Phnom Penh erst als Residenz des Staatsoberhauptes instand gesetzt werden müsse. In Wahrheit zweifelten sie wohl an der revolutionären Gesinnung des blaublütigen Politikers, dem man nachsagt, er habe vor Jahren die Khmer Rouge noch unnachsichtig verfolgen lassen — bis er später einer der ihren wurde, er sei „ein Khmer Rouge durch Adoption", wie sich Sihanouk selbst bezeichnete.


Das war den neuen Machthabern im Lande sicher zuwenig. Obgleich offiziell Staatsoberhaupt, konnte sich Sihanouk nur in den Räumen seines riesigen kahlen Palastes frei bewegen. Selten nur durfte er ihn verlassen, zu Ausflügen in einem Radius von nicht einmal zehn Kilometern.
Vergangenen Montag entsagte der Prinz seinem einflußlosen Amt, Nachfolger wurde Politbüromitglied Khieu Samphan. Denn Kambodschas Ideologen haben inzwischen einen Sozialismus aufgebaut, im Vergleich zu dem selbst Maos China noch fast als Land einer heiteren bürgerlichen Gesellschaft erscheint. So ist Privateigentum nahezu völlig abgeschafft, als persönlicher Besitz sind buchstäblich nur Hemd und Hose erlaubt.
Jeder Kambodschaner ist in einen rigorosen Aufbauprozeß der Wirtschaft eingespannt. Wer nicht fleißig genug arbeitet, wird vom Kollektiv mit Stöcken zu Tode geprügelt. Auf diese Art, so behaupten kambodschanische Flüchtlinge, oft ehemalige CIA-Mitarbeiter, in Thailand, würden nun sämtliche Hinrichtungen im Lande vollzogen — um Kugeln zu sparen.
Materielle Hilfe nehmen die neuen Herren nicht einmal von den Chinesen an. Peking durfte nur eine Handvoll technische Berater ins Land senden. Geld wurde abgeschafft. Was der einzelne braucht, erhält er vom Staat.
Nur mit Sihanouk machten Kambodschas Zuchtmeister eine Ausnahme; Sie sprachen dem Prinzen eine jährliche Rente von 20 000 Mark zu. Denn sie wollen keineswegs einen Fehler wiederholen, den die Franzosen 1941 begangen hatten: Sihanouk zu unterschätzen.
Damals setzte Frankreichs Regierung den minderjährigen Prinzen auf den Thron, in der Annahme, der an Frauen, Filmen und Champagner interessierte Sihanouk werde ihre Kolonialpolitik nicht stören. Der Prinz blieb auch seinen Neigungen treu, betätigte sich als Filmschauspieler und Regisseur, gab Magazine heraus, manövrierte aber 1953 die Franzosen aus dem Lande.
Fast zwei Dekaden lang vollführte er dann die geschickteste Ein-Mann-Schau an der Spitze eines asiatischen Landes. Er hielt sich die Amerikaner vom Leib und gestattete ihnen doch — was er freilich bestreitet —, die Widerstandsnester der ersten Khmer Rouge zu bombardieren.
Später setzte er dann rechtzeitig auf die kommunistische Karte, indem er eine Art buddhistischen Sozialismus entwickelte und die Beziehungen zu Moskau und Peking intensivierte. Wegen seiner Volkstümlichkeit konnte ihn sein rechter Widersacher Lon Nol nur mit Hilfe des Pentagon stürzen, als Sihanouk auf einem Moskau-Besuch außer Landes weilte.
Sihanouk ging nach Peking ins Exil zu seinem Freund Tschou En-lai. Von dort unterstützte er wortreich den Kampf der Roten Khmer.
Als er nach seiner Rückkehr mit der neuen kambodschanischen Wirklichkeit konfrontiert wurde, reagierte er freilich anders. Beim Anblick Phnom Penhs soll er in Tränen ausgebrochen sein: Die Roten Khmer hatten aus der Hauptstadt sämtliche zwei Millionen Einwohner evakuiert und bislang nur 100 000 Linientreuen die Rückkehr erlaubt. Was inzwischen aus den Umsiedlern geworden ist, bleibt unklar: Die neuen Machthaber halten ihr Land eisern unter Verschluß.
Fast gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Sihanouk-Rücktritts verkündeten sie aber dem Volk eine frohe Kunde: Die monatliche Reisration pro Mann wurde auf 15 Kilo heraufgesetzt, und für je zehn Personen soll es alle zehn Tage ein Schwein geben. ♦