DER SPIEGEL 17-1980 (S. 164-165)
„Wir haben gelitten, wir haben gekämpft"
SPIEGEL-Interview mit Heng Samri, dem Präsidenten des Revolutionsrates
der Volksrepublik Kamputschea
SPIEGEL: Herr Präsident, am 7. Januar 1979 haben Sie das Pol-Pot-Regime
gestürzt. Das war nur dank der vietnamesischen Invasion in Kamputschea möglich,
und aus diesem Grunde weigern sich die westlichen Länder, Sie als den legitimen
Vertreter des Landes anzuerkennen. Beobachter bezeichnen Ihre Regierung als
Marionettenregierung. Wie denken Sie darüber?
HENG SAMRIN: Dieser Vorwurf des Westens und der reaktionären Kräfte ist
niederträchtig. Wir sind keine Marionetten der Vietnamesen. Wir haben gelitten,
wir haben gekämpft, wir wünschen wie die übrige Welt Unabhängigkeit und
Souveränität. Nur ehrlose Menschen beschuldigen uns, Marionetten zu sein. Die
Vietnamesen sind hier, weil wir sie gerufen haben.
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SPIEGEL: 200 000 vietnamesische Soldaten stehen im Land. Wie viele Soldaten
haben Sie?
HENG SAMRIN: Ich kann Ihnen sagen, daß wir in der Lage sind, unser Territorium
zu verteidigen.
SPIEGEL: Dann könnten sich ja die Vietnamesen bald aus Kamputschea zurückziehen.
HENG SAMRIN: Wir sind noch eine junge Macht. Wir haben noch nicht viel Erfahrung
mit dem Aufbau des Sozialismus. Deshalb bitten wir die vietnamesischen
Streitkräfte, uns zu helfen, unser Land schneller zu entwickeln und die Angriffe
unserer Feinde abzuwenden. Wenn die ASEAN-Länder, die amerikanischen
Imperialisten und die Reaktionäre in Peking aufhören, unser Territorium zu
bedrohen und die Kräfte der Pol-Pot-Ieng-Sary-Clique zu unterstützen, kann die
vietnamesische Armee sich zurückziehen.
SPIEGEL: Für wie stark halten Sie die Reste der Roten Khmer noch? Ihre Regierung
sagt, es seien höchstens 15 000. Die Roten Khmer dagegen behaupten, sie hätten
100 000 Mann unter Waffen und kontrollierten noch weite Gebiete des Landes.
HENG SAMRIN: Alles, was die Roten Khmer sagen, sind Lügen. Mit diesen Lügen
wollen sie ihre Soldaten ermutigen und ihren Auftraggebern in Washington und
Peking einen Gefallen tun. Die Streitkräfte der Pol-Pot-Ieng-Sary-Clique stehen
noch entlang der thailändischen Grenze. Es besteht Einverständnis zwischen
Bangkok und den Imperialisten und Reaktionären. Ohne diese stillschweigende
Duldung wären die Pol-Pot-Truppen bereits vernichtet. Aber selbst so sind sie
nicht in der Lage, gegen uns eine Großoffensive zu starten.
SPIEGEL: Wollen Sie sagen, im Innern von Kamputschea gäbe es keine bewaffneten
Roten Khmer mehr?
HENG SAMRIN: Ja, so ist es. Auf unserem Territorium gibt es keine Roten Khmer.
Die loyalen Anhänger der Pol-Pot-Ieng-Sary-Clique sind nur auf thailändischem
Gebiet. Im Innern des Landes gibt es nur noch kleine Piratenbanden, die von Zeit
zu Zeit Überfälle machen, die Bauern ausrauben, um sich zu versorgen.
SPIEGEL: Sie sprechen die ganze Zeit von der Pol-Pot-Ieng-Sary-Clique. Sie
nennen aber nie den Namen Khieu Samphan, der inzwischen Pol Pots Nachfolger ist
und als solcher in Peking von Parteichef Hua Kuo-feng empfangen wurde. Scheint
Ihnen eine Einigung mit Khieu Samphan möglich?
HENG SAMRIN: Khieu Samphan ist ein Verbrecher, ein Verräter, ebenso wie alle
anderen. Wir haben nicht die Absicht, mit Verrätern zu diskutieren, die ins
Ausland geflohen sind, um unser Volk anzugreifen.
Gegen diese Leute muß man mit der Waffe kämpfen, so wie wir in der Vergangenheit
gegen alle Feinde gekämpft haben. Eine internationale Konferenz für die Lösung
des sogenannten Kamputschea-Problemssteht überhaupt nicht zur Debatte. Das
Problem wurde mit der Befreiung vom 7 Januar 1979 gelöst.
SPIEGEL: Und Prinz Sihanouk?
HENG SAMRIN: Sihanouk hat sich in den Dienst der Imperialisten gestellt, um
seinem eigenen persönlichen Ehrgeiz zu dienen. Er ist eine Puppe der Amerikaner
und Chinesen geworden. Wenn er auf ihrer Seite bleibt, stellt er sich gegen
unsere Revolution.
SPIEGEL: Herr Präsident, Ihre Regierung behauptet, die Situation in Kamputschea
verbessere sich von Tag zu Tag. Aber die internationalen Experten sagen, die
landwirtschaftliche Produktion des Landes sei nicht annähernd normal, die
Menschen hätten nicht genügend Reis, das Lebensmitteldefizit steige von Monat zu
Monat. Wie ist die Situation?
HENG SAMRIN: Das Völkermordregime von Pol Pot und Ieng Sary hat uns eine
zerstörte Wirtschaft hinterlassen. Die Menschen, die 1975 aus ihren Häusern
vertrieben wurden, sind zurückgekehrt. Aber die Produktion ist immer noch nicht
normal. Die sozialistischen Länder und die internationalen Organisationen helfen
uns mit Lebensmitteln. In ganz Kambodscha stirbt heute kein Mensch an Hunger.
SPIEGEL: Sie sprechen immer von den Verbrechen Pol Pots und Ieng Sa-rys,
Politikern, mit denen Sie persönlich und die meisten Angehörigen Ihrer Regierung
bis vor kurzem noch verbunden waren. Es gab 1975, 1976 und 1977 Massaker, Sie
haben sich erst 1978 losgesagt.
HENG SAMR1N: Nach dem Sieg von Pnom Penh im April 1975, als die Roten Khmer die
Bevölkerung aus der Hauptstadt vertrieben, wurde mir klar, daß Pol Pot und Ieng
Sary die Revolution verraten hatten und zu Dienern Chinas geworden waren, das
die Herrschaft über ganz Asien antreten möchte.
Pol Pot hat drei Millionen Khmer umgebracht, einschließlich einiger Tausend
revolutionärer Kader, um den Ambitionen Chinas zu dienen. Wir sahen unser Volk
in Elend und in einem katastrophalen Unglück, aber wir hatten nicht die Mittel,
unsere Haltung deutlich zu machen.
SPIEGEL: Glauben Sie nicht, daß es in der Bevölkerung ein Vertrauensproblem
Ihnen gegenüber gibt, da Sie offensichtlich die drei Jahre während der Massaker
für Pol Pot tätig waren?
HENG SAMRIN: Wir haben zusammen gelitten. In meiner Familie wurden 35 Angehörige
getötet. Zwei meiner Brüder, der eine Divisionschef, der andere Bataillonschef,
wurden 1978 von Pol Pot und Ieng Sary umgebracht.
SPIEGEL: Glauben Sie, die Kambodschaner können die alte Feindschaft gegen die
Vietnamesen vergessen?
HENG SAMRIN: All das ist eine Erfindung der Kolonialisten. Die Vietnamesen sind
unsere Freunde. In Notzeiten haben sie uns immer geholfen.
SPIEGEL: Kambodscha ist ein großes Land und hat jetzt nur eine geringe
Bevölkerung. Es gibt Leute, die fürchten, die Vietnamesen werden Siedler nach
Kambodscha schicken.
HENG SAMRIN: Es gibt keine, und es wird auch keine geben.
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* Beim Empfang in Peking durch Parteichef Hua Kuo-feng.