Frankfurter Rundschau 28.11.1994


In der Nacht ist Angkor Wat vermint
Blutiges Erbe aus Kambodschas Geschichte / Khmer töteten drei entführte Touristen
Von Volker Klinkmüller


Überfälle, Entführungen und Raubmorde haben das Reisen auf Kambodschas Überlandrouten zu einem riskanten Unternehmen werden lassen. Seit auf Phnom Vour (150 Kilometer südlich der Hauptstadt Phnom Penh) Anfang November die sterblichen Überreste dreier entführter Rucksack-Touristen gefunden wurden, ist der Fremdenverkehr im Königreich nahezu zusammengebrochen. Der Brite Mark Slater (28), der Australier David Wilson (29) und der Franzose Jean-Michel Braquet (27) waren bei einem blutigen Zugüberfall der Roten Khmer am 26. Juli als Geiseln in den Dschungel verschleppt und — wie sich inzwischen herausgestellt hat — zwei Monate später mit AK-47-Gewehren getötet worden. Die von den Gekidnappten benutzte Eisenbahn-Route gehört zu den landschaftlich schönsten in Südostasien. Doch eigentlich — so meinen kritische Stimmen — hätten die drei Reisenden wissen oder erkennen müssen, daß sie sich mit der Zugfahrt auf ein lebensgefährliches Abenteuer einlassen.
Die Eisenbahn-Verbindung von Phnom Penh nach Sihanoukville an der kambodschanischen Küste ist schon seit längerem als „Death Railway" berüchtigt. Seit Anfang der 80er Jahre hat es auf dieser Linie mehr als zwölf Überfälle gegeben, davon vier allein in der ersten Jahreshälfte 1994. Die 30 Jahre alte, aus Frankreich stammende Lok war armiert wie ein Blockadebrecher. Zum Schutz vor Gewehrkugeln und Granatsplittern war die Front mit einer 2,5 Zentimeter dicken Stahlplatte geschützt. Vor sich her schob die Lok zwei Wagen über die Gleise, um eventuell ausgelegte Minen detonieren zu lassen. Vielleicht hatten sich die drei Touristen aber auch durch das militärische Begleitpersonal hinreichend gesichert gefühlt. Die Regierungssoldaten jedoch — so ist es bisher immer wieder gewesen — pflegen schon bei kleineren Feuergefechten das Weite zu suchen. Weil Touristen die Gefahren Kambodschas gelegentlich unterschätzen, hat König Norodom Sihanouk von seinem Krankenlager in Beijing (Südchina) Ausländer erneut davor gewarnt, sein Land zu bereisen.
Das hört sich bei der kambodschanischen Regierung ganz anders an: Diese hat gerade erst eine der weltweit größten Werbeagenturen für eine Million Dollar beauftragt, das — so Keat Chhon, Staatsminister für Wiederaufbau — „von internationalen Medien zerstörte Image des Königreichs positiv zu korrigieren". Werbevideos und ganzseitige Zeitungsanzeigen sollen die Vorzüge Kambodschas als lukratives Reise- und Investitionsland preisen. Dafür werden zum Beispiel das Nachtleben in Phnom Penh, Szenen aus dem Kunsthandwerk, traditionelle Khmer-Tänze, idyllische Strände und natürlich auch die Tempelanlagen von Angkor auf Zelluloid gebannt.
Unterdessen hat Tuan Chhay, Gouverneur der Provinz Siem Reap, angekündigt, das „achte Weltwunder" Angkor Wat zu verminen: Jeden Tag nach Sonnenuntergang, wenn die letzten Touristen die Ruinenstadt von Angkor verlassen haben, werden Regierungssoldaten hochexplosive Sprengkörper ausbringen und diese am nächsten Morgen gegen sechs Uhr wieder einsammeln. Die Minen sollen Rote Khmer und Banditen abhalten, sich weiterhin an Reliefs und Skulpturen der weitläufigen Tempelanlagen zu bedienen. Paradoxerweise war es französischen Experten gerade erst gelungen, das Weltkulturerbe Angkor Wat weitgehend vom explosiven Erbe des 15jährigen Bürgerkriegs zu befreien und für Touristen wieder sicherer zu machen. Eine Oase in einem Land, dessen Erdboden nach UN-Angaben mit rund vier Millionen Landminen verseucht ist und in dem monatlich 300 bis 700 Menschen durch Minen-Explosionen getötet oder verstümmelt werden.