Brand des Lagers Herrenberg - 1


Nadja Thelen-Khoder


Der Brand des Lagers Herrenberg
am 22./23. März 1945
- und noch eine Liste


Originaldatei: Der Brand der Schützenhalle und noch eine Liste.pdf


„Die Schützenhalle im Jahre 1945. Das Bild zeigt den Kleinen Saal, an dem
rechts deutlich noch die Sperrgitter in den Fenstern zu sehen sind.“
1
 

Der Erste, der mir vom Brand in der Sauerlandhalle erzählte, war der damalige Bürgermeister von Warstein, Martin Gödde. Wie hätte ich ohne ihn die vielen Orte finden sollen, von denen ich in den folgenden Wochen lesen sollte?

Ob es Photos von der abgebrannten Schützenhalle gebe, hatte ich im Stadtarchiv Warstein gefragt, und ein paar Minuten später hielt ich auch schon die „Chronik der Bürgerschützengesellschaft Warstein“ von 1988 in den Händen. Es ist wunderbar, immer wieder auf so freundliche und hilfsbereite Menschen in Warstein zu treffen!

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1 „Chronik der Bürgerschützengesellschaft Warstein“, aus den Quellen bearbeitet von Werner Giese, Warstein 1988, S. 66.

Bildunterschrift: „Die Schützenhalle im Jahre 1945. Das Bild zeigt den Kleinen Saal, an dem rechts
deutlich noch die Sperrgitter in den Fenstern zu sehen sind. Das ganze Ausmaß der Zerstörung durch die
Brandkatastrophe wird uns hier vor Augen geführt.“

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Bisher hatte ich mit Schützengesellschaften noch nie etwas zu tun und fragte mich, ob Juden wohl nach 1933 ausgeschlossen worden waren. Herr Gödde und Herr Kösters hatten mich auf die Stolpersteine hingewiesen, die 2015 in Warstein verlegt worden sind, und als ich sie photographierte, dachte ich: Meine Großeltern, also auch Herr Dr. Segin, sind im April 1933 auch losgelaufen und haben sich den „Ariernachweis“ besorgt. Warum? Haben sie nichts von dem Boykott gegen die jüdischen Geschäfte mitbekommen? Hat sich mein Opa keine Gedanken darüber gemacht, warum er unbedingt nachweisen sollte, kein Jude zu sein, und was das für die Familien

Cohn, wohnhaft Auf dem Bruch 17,

Gonsenhäuser, wohnhaft Hauptstr. 33,

Kaufmann, Haupstraße 94 (Blick vom Haus auf die Kirche)

bedeutete?

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2 Stolpersteine: „HIER WOHNTE WILLI COHN, JG. 1863, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE REGINA COHN, GEB. LÖWENSTEIN, JG. 1890, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE WALTER COHN, JG. 1913, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE LOTTE HIRSCH, GEB. COHN, JG. 1918,
FLUCHT 1939, BOLIVIEN“

3 Stolpersteine: „HIER WOHNTE JULIUS GONSENHÄUSER, JG. 1895, ,SCHUTZHAFT' 1938, BUCHENWALD, ERMORDET 20.12.1938“ - „HIER WOHNTE IRMA GONSENHÄUSER, GEB. ARENSBERG, JG. 1898, DEPORTIERT 1941, ERMORDET IN MINSK“
4 Stolpersteine: „HIER WOHNTE BERTHA KAUFMANN, JG. 1880, DEPORTIERT 1942, THERESIENSTADT, 1944 AUSCHWITZ, ERMORDET“ - „HIER WOHNTE MORITZ KAUFMANN, JG. 1885, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE FRIEDA KAUFMANN, GEB. LEVINSTEIN, JG. 1893, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE MARGOT KAUFMANN, JG. 1915, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE ERNA KAUFMANN, JG. 1920, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“ - „HIER WOHNTE HENRIETTE KAUFMANN, JG. 1923, FLUCHT 1939, BOLIVIEN“

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Nein, wahrscheinlich hat er sich darüber keine Gedanken gemacht. Und niemand konnte 1933 ahnen, daß Auschwitz, Majdanek, Sobibor, Treblinka ... wirklich durch Deutsche möglich werden konnten – aber genau so wurden sie möglich: Ausgrenzung Schritt für Schritt; ich habe die „Ariernachweise“ auch meiner Großeltern gesehen ...

Nun bin ich aber wirklich „vom Hölzken auf’s Stöcksken“ gekommen, wie meine Mutter immer sagte.

Ob jüdische Deutsche auch Schützenbrüder waren, hatte ich mich gefragt, und nun las ich in der „Chronik der Bürgerschützengesellschaft Warstein“ von 1988:
„So konnte dann endlich am 15. September5 die große Jubelfeier starten. 23 auswärtige Vereine und der Warsteiner Junggesellenschützenverein beteiligten sich unter Anführung zweier Herolde zu Pferd an dem großen Umzug durch Warsteins Straßen. Die Südkompanie hatte am Eingang zur Wilhelmstraße einen großen Torbogen gebaut mit der Aufschrift ,200 Jahre Bürgerschützen’. Am Samstag begannen die Feierlichkeiten bei strömendem Regen mit einem Fackelzug durch die Stadt. Danach spielte eine Reichswehrkapelle aus Paderborn zum Tanz auf, die, wie es im Zeitungsbericht des ,Sauerländer Volksfreunds’ vom 17.9.1929 heißt, mit einem vollendet schönen Konzert die Herzen erwärmte und immer wieder mit Beifall überschüttet wurde.
Am Sonntagmorgen fand dann ein feierliches Hochamt statt, in dem auch die neue Fahne der Nordkompanie geweiht wurde. Pfarrer Keespe ging in der Predigt auf den Symbolgehalt der Fahne ein: ,Die Symbole auf der Fahne, der Zehnthof und die Alte Kirche, rufen eine fast tausendjährige Heimatgeschichte in uns wach. Der Zehnthof erinnert an die Söhne des Hl. Benedikt, die vor fast 1000 Jahren Christentum und Kultur ins Wästertal brachten. Die Alte Kirche spricht von der Festungsstadt, starken Wällen, wehrhaften Schützen, von opferbereiten, kunstverständigen Bürgern, die sie bauten, von Feuersnot und Seuchen, vom Leben und Treiben wehrhafter und stets zur Hilfe bereiten Schützen. Das Hauptbild der Fahne, St. Pankratius, der Kirchenpatron, ruft den Schützen zu: Wahret den alt ererbten Glauben, schützet die heimatlichen Sitte. Denn es ist heute Aufgabe der Schützen – wie Pius XI zu den rheinisch-westfälischen Schützen vor Jahresfrist in feierlicher Audienz redete – kostbarste Schätze zu wahren und zu verteidigen: Die Schätze des Glaubens und des christlichen Lebens.
St. Petrus, der Stadtpatron, soll die Schützen erinnern, daß sie ihre Gemeinde aufbauen nach den Grundsätzen des Rechts, der Gerechtigkeit und der dienenden Bruderliebe, daß sie die bestehende Autorität bereitwillig anerkennen.’
Nach der Fahnenweihe und dem Hochamt fand ein Festkonzert statt. Um zwei Uhr begann der große Festumzug durch die Hauptstraßen der Stadt. Der damalige
Oberst Herre begrüßte die Gäste auf dem Marktplatz. Danach hielt der Stadtvorsteher Pieper eine Rede, an deren Schluß er an die neue Fahne einen goldenen Kranz mit der Aufschrift ,200’ heftete. Dieser Kranz befindet sich noch heute an der Fahne der Nordkompanie. Danach setzte sich der Festzug erneut in Bewegung, um über die Bilsteinstraße, Kesterweg, Dieplohund Hochstraße, das Bruch, Haupt- und Wilhelmstraße zum Herrenberg zu gelangen. Es folgte dann ein Konzert und Tanz, mit denen das Jubelfest ausklang.
Ein Nachtrag ist hier vielleicht noch von Interesse. Auf der Generalversammlung des Junggesellen-Schützen-Vereins am 18. März 1930 wurde noch einmal ausdrücklich betont, daß der Verein sich nach wie vor als der älteste Warsteiner Verein fühle.“6
Wenn es für diese „rheinisch-westfälischen Schützen“ darum ging, „kostbarste Schätze zu wahren und zu verteidigen: Die Schätze des Glaubens und des christlichen Lebens“, war die Bürgerschützengesellschaft wohl nicht der Heimatverein für Menschen anderen Glaubens, so daß man sie auch nicht ausgeschlossen hat, dachte ich mir.

Auf S. 61 las ich weiter: „Die Bürgerschützengesellschaft zur Zeit der Weltwirtschaftskrise und zur Zeit des Nationalsozialismus
...... Auf der im Jahre 1933 stattfindenden Generalversammlung weist der Verein einen Verlust von 659 RM aus. Auf dieser Versammlung wird der Brauereibesitzer Albert Cramer für den ausscheidenden Emil Herre zum Oberst gewählt. Cramer, der in Abwesenheit gewählt wurde, lehnt die Wahl jedoch ab, so daß vom Vorstand Franz-Josef Risse, bekannt als ,Rissen Chef’, zum Oberst bestimmt wird.
Im gleichen Jahr wird beschlossen, die Schützenhalle für die Dauer von zehn Jahren an die Stadt zu verpachten, um die Schuldenlast tilgen zu können. Die Stadt stellt die Halle dem Reichsarbeitsdienst zur Verfügung.
Im April 1934 tritt die Bürgerschützengesellschaft dem Schützenbund des kurkölnischen Sauerlandes bei, unter der Bedingung, daß die bisherigen traditionellen
Bindungen an die Kirche, die Teilnahme an den Prozessionen etc. beibehalten werden können. Dieser Schützenbund scheint schon damals der nationalsozialistischen Gleichschaltung zum Opfer gefallen zu sein. Der Oberst wurde nämlich, den Satzungen gemäß, hinfort Vereinsführer genannt, der Major wurde zum stellvertretenden Vereinsführer.
Diese Einbindung in einen nationalsozialistisch ausgerichteten Schützenbund sollte, wie wir noch sehen werden, fatale Folgen für den Verein haben. Fürs erste ging man nur soweit, die Bierprobe mit einem dreifachen ,Sieg-Heil’ auf den Führer zu schließen.
Im Jahre 1935 .....

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5 1929

6 „Chronik der Bürgerschützengesellschaft Warstein“, aus den Quellen bearbeitet von Werner Giese,

Warstein 1988, S. 60
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Im Jahre 1936 ... trat die Bürgerschützengesellschaft dem NS-Reichsbund für Leibesübungen bei und war somit in das Netz der nationalsozialistischen Organisationen eingespannt. Dieser Beitritt erfolgte unter dem Druck von Sanktionen gegen den Verein. So waren auch die Schützengesellschaften der Gleichschaltung zum Opfer gefallen.
1937 ...
1938 ...“

7 Bildunterschrift: „Festzug 1938 auf der Rangestraße, Oberst Franz-Josef Risse, Major F. Cremer“

(a.a.O., S.63)

1938.
Neben seinem ehemaligen Haus, Warstein, Hauptstraße 94, gibt es den Moritz-Kaufmann-Weg, dessen Straßenschild an ihn erinnert: „Moritz Kaufmann (1885-1949), Geschäftsinhaber und letzter Vorsteher der jüdischen Gemeinde Warstein bis 1938

1938
„HIER WOHNTE JULIUS GONSENHÄUSER, JG. 1895, ,SCHUTZHAFT' 1938, BUCHENWALD, ERMORDET 20.12.1938“ So wußte der erste Stolperstein vor der Hauptstraße 33; der zweite berührte mich fast noch mehr:
„HIER WOHNTE IRMA GONSENHÄUSER, GEB. ARENSBERG, JG. 1898, DEPORTIERT 1941, ERMORDET IN MINSK“
Das Ehepaar Julius und Irma Gonsenhäuser wohnte also bis 1938 zusammen. Dann wurde der Mann verhaftet und in Buchenwald umgebracht, und seine Frau lebte bis 1941 weiter in der Wohnung, bis sie 1941 nach Minsk deportiert und dort auch ermordet wurde?

 

1938

In der Synagogengasse in Warstein

Zunächst war ich daran vorbeigegangen; aber wieder schickte mir der liebe Gott Warsteiner Engel, die mir halfen: Marita und Aloys Hecker machten einen Sonntagsspaziergang. Mit ihrer Hilfe las ich also:
„HIER STAND DIE SYNAGOGE DER JÜDISCHEN GEMEINDE WARSTEIN, ERRICHTET IM ERSTEN VIERTEL DES 19. JAHRHUNDERTS ALS FACHWERKBAU MIT SCHIEFERDACH. BIS ZUR JAHRHUNDERTWENDE REGELMÄSSIGER GOTTESDIENST. ZERSTÖRUNG DES INNEREN IN DER NACHT VOM 9. AUF DEN 10.11.1938. 1970 ABGEBROCHEN.“

8 aus: „Feuer in Dein Heiligtum gelegt“

Daß die Synagoge nach ihrer Schändung und Zerstörung noch lange als Scheune genutzt wurde, stand nicht auf der Tafel.

 

1938

Dort, wo sich die Straßen „Unter’m Hagen und „Zur Alten Kirche“ gabeln, liegt der „FRIEDHOF DER EHEMALIGEN JÜDISCHEN GEMEINDE WARSTEIN. SEIT JAHRHUNDERTEN BEGRÄBNISSTÄTTE FÜR DIE JÜDISCHEN BÜRGER AUS WARSTEIN UND HIRSCHBERG. 1664 ERSTE URKUNDLICHE ERWÄHNUNG JÜDISCHER FAMILIEN IN WARSTEIN. 1938 LETZTE BEISETZUNG“ (Tafel)
Ein Grabstein fiel mir besonders auf, nämlich der von Max und Berta Arensberg.

Leider konnte ich bei Max Arensberg die Daten nicht lesen; Efeu war darüber gewachsen, und betreten konnte ich den Friedhof nicht, weil er geschlossen war. Bei Berta Arensberg stand, daß sie am 1. Mai 1857 geboren und am 3. Oktober 1937 gestorben war.
„HIER WOHNTE IRMA GONSENHÄUSER, GEB. ARENSBERG, JG. 1898, DEPORTIERT 1941, ERMORDET IN MINSK“, fiel mir wieder ein. Waren Max und Berta Arensberg die Eltern von Irma Gonsenhäuser?
Im „Warsteiner Wanderbuch“ von 19259 annoncierten auch Max Arensberg und M. Kaufmann.

9 „Warsteiner Wanderbuch, Herausgegeben von Dr. Joseph Poth, Vorsitzender des S.B.V. Abteilung Warstein.
Warstein 1925“, eines der Bücher meiner Mutter

„Vom Hölzken auf’s Stöcksken“ ...
Also weiter in der Chronik mit dem Jahr 1939:

1939 wurde ein schwarzes Jahr in der Geschichte der Bürgerschützengesellschaft.

Zum zweiten Mal nach 1796 wurde der Verein aufgelöst. Wie war es dazu gekommen? Durch ihre Mitgliedschaft im Schützenbund des kurkölnischen Sauerlandes und im Reichsbund für Leibesübungen war die Bürgerschützengesellschaft gleichzeitig Mitglied im Nationalsozialistischen Schützenverband geworden. Dieser NS Schützenverband verbot seinen Mitgliedern im Jahr 1939, an kirchlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Somit durfte auch zum Beispiel die Pfingstprozession nicht mehr begleitet werden. Die Schützengesellschaft teilte dies den Mitgliedern mit. Am Pfingstmontag, 28.5.1939, ließ der Major Cremer den Schützenzug vor Beginn der Prozession wegtreten. Offiziere und Schützenbrüder, die an der Prozession teilnehmen wollten, brachten Schärpen, Degen und Gewehre in benachbarte Privathäuser. Der Schützenkönig, Albert Cramer jr., gab Königsschild und Schärpe in der Buchhandlung Teutenberg ab, um sich dann der Prozession anzuschließen. Trotz des Verbots hatten sich aber drei oder vier Offiziere mit Degen und Schärpe der Prozession angeschlossen. Der Sohn des Vorstandsmitgliedes Albert Cramer, Paul Cramer, wurde der Prozession nachgesandt und veranlasste die Offiziere, die Prozession zu verlassen. Mit ihrer Zivilcourage hatten die Offiziere dem Verein allerdings einen schlechten Dienst erwiesen. Ihre Beteiligung an der Prozession nahm die GESTAPO in Dortmund zum Anlaß, über den Regierungspräsidenten in Arnsberg die Auflösung des Vereins zu veranlassen.11
Der NS Bürgermeister Gierig gab dem Verein am 3. Juni 1939 diese Verfügung bekannt.“12

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10 Bildunterschrift: „Königspaar 1939 Franz-Josef Risse und Luise Boots, Adjutant r. Willi Hopf, Adjutant l. Otto Herre“ (a.a.O., S. 64)
11 Das verstehe ich nicht. Hat Otto Wels seiner Partei am 23.3.1933 durch seine Zivilcourage auch einen schlechten Dienst erwiesen, als er als ihr Vorsitzender das „Ermächtigungsgesetz“ ablehnte? „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht!“, rief er in der Kroll-Oper, und die 94 Mitglieder seiner SPD lehnten das neu eingebrachte „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ ab, während die 444 übrigen Reichstagsmitglieder der Nationalsozialistischen Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP, die mit der NSDAP seit dem 5.3.1933 koalierte und den Nazis damit die Regierungsmehrheit verschaffte), des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei (BVP) und der Deutschen Staatspartei zustimmten. Die Sozialdemokraten mußten anschließend ins Exil oder ins KZ. (Die 81 gewählten Abgeordneten der Kommunistischen Partei Deutschlands, KPD, konnten an der Abstimmung nicht teilnehmen, weil ihre Mandate für null und nichtig erklärt worden und viele schon inhaftiert waren.)
12 a.a.O., S. 65

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Im Stadtarchiv Warstein findet sich dieses Schreiben, in dem der Name des Empfängers falsch geschrieben steht -

„Der Amtsdirektor
als Ortspolizeibehörde
Telefon Nr. 364
Aktenz. III. C.
Warstein, den 3. Juni 1939
 

An die Bürgerschützengesellschaft
z. Hd. Des Herrn F. J. Riße, Warstein.
 

Nach fernmündlicher Mitteilung des Herrn Landrats

in Arnsberg ist die Auflösung der
Bürgerschützengesellschaft in Warstein verfügt.

 

Das Vermögen ist sicherzustellen.
 

Sie werden persönlich dafür verantwortlich gemacht,

daß jede weitere Betätigung und jegliche Einwirkung

auf das Vermögen unterbleibt.
 

Diese Anordnung ist im Einvernehmen mit dem

Kreisleiter der NSDAP und der Geheimen Staatspolizei

Staatspolizeistelle Dortmund getroffen.
 

Weitere Verfügung wird von dem Herrn Landrat folgen.“

 

 

 

 

und voller Scham denke ich an die mahnenden Worte von Herrn Kaja, ich solle bloß nichts durcheinander machen; tatsächlich kann ich nicht sagen, in welcher Akte ich dieses Schreiben gefunden habe und bitte recht sehr um Entschuldigung.

Weiter in der Chronik:
„Am 11. Juli 1939 erfolgte die schriftliche Verfügung des Landrats in Arnsberg. Darin hieß es: ...., daß entgegen der Verfügung der Geheimen Staatspolizeistelle Dortmund vom 12. September 1938, die sowohl den Führern wie den Mitgliedern des Vereins ausdrücklich bekannt gegeben worden sei, Mitglieder des Bürgerschützenvereins ohne Fahnen, aber mehrere Offiziere mit Degen, Schärpen und Achselstücken angetan, an der Pfingstprozession in Warstein teilgenommen hätten.
Obwohl die Bürgerschützengesellschaft Beschwerde gegen die Verfügung erhob, blieb es bis zum Ende der Nazi-Herrschaft beim Verbot des Vereins. Das Vermögen, insbesondere die Schützenhalle, wurde beschlagnahmt. Die Schützenhalle sollte zur Abtragung der Schulden versteigert werden, der Sparkassenverband hatte dies Anfang Juni beantragt. Der Vorstand wurde von einem Assessor Schneider gebeten, die Liquidation der Vereins selbst vorzunehmen. Ähnlich erging es den Junggesellenschützen, die mit einer Fahnenabordnung an der besagten Prozession teilgenommen hatten. Auch dieser Verein wurde aufgelöst, und vier Mitglieder wurden sogar für eine Woche in Haft genommen.
Aus den Jahren 1941 und 1942 sind einige Protokolle der Liquidatoren erhalten. Diese Herren bemühten sich, so gut es ging, die Herrenbergshalle zu erhalten. Sie ließen die notwendigsten Reparaturen durchführen und bemühten sich, durch Anfragen an die zuständigen Regierungsstellen, Näheres über die Zukunft des Vereins zu erfahren.

Bis zum Kriegsende blieb es jedoch beim Verbot. Die beschlagnahmte Schützenhalle diente als Gefangenenlager; zunächst waren hier französische, später auch noch russische Kriegsgefangene untergebracht.

In den Jahren 1942 und 1943 veranstalteten die Warsteiner Soldaten, die auf Heimaturlaub waren, jeweils am Pfingstsonntag ein ,Schützenfest’ an der Bilsteinhöhle. Für einige Stunden konnten die Soldaten die Schrecken des Krieges vergessen und in einer gemütlichen Runde, in der durch Abwerfen einer Brezel auch ein ,Schützenkönig’ ermittelt wurde, des alten Schützenfestbrauches gedenken.

In der Nacht vom 22. auf den 23. März 1945 gegen 22.30 Uhr wurde die Schützenhalle durch ein Feuer völlig verwüstet. Abziehende SS-Leute hatten die Halle höchstwahrscheinlich angezündet, um die darin eingeschlossenen Kriegsgefangenen umkommen zu lassen. Diesen gelang jedoch, sich zu befreien. Die Schützenhalle aber brannte bis auf die Mauern nieder. Fast 100 Jahre hatte die Halle dort gestanden. Viele Arbeitsstunden und Geldmittel hatten Generationen von Vereinsmitgliedern in den Bau, Anbau und Umbau der Halle investiert. Jetzt stand man vor dem sinnlosen Zerstörungswerk einiger Fanatiker, die kurz vor dem Kriegsende immer noch vom Endsieg faselten.
 

Exkurs: Die Brandursache
In den Jahren 1957/58 fand vor dem Arnsberger Landgericht ein Prozeß gegen fünf ehemalige SS-Angehörige, sowie den Industriellen Klönne statt. Es ging dabei um die Ermordung russischer Fremdarbeiter im Langenbachtal 1945. Da vermutet werden konnte, daß während des Prozeßverlaufs auch der Brand der Schützenhalle zur Sprache kommen werde, fragte der Warsteiner Rechtsanwalt Luig bei seinem Arnsberger Kollegen Honigmann an, ob in diesem Prozeß etwas Näheres über die Brandursache bekannt geworden war.

Aus dessen Antwortschreiben zitiere ich: In dem bekannten Warsteiner Prozeß habe ich aufgrund Ihres Schreibens vom 27. November 1957 mit dem die Sache bearbeitenden Staatsanwalt Rücksprache genommen und folgendes festgestellt:

Hinsichtlich des Brandes der Schützenhalle ist ein sicherer Sachverhalt nicht erwiesen. Man weiß nicht, wie die Halle in Brand geraten ist, so daß alle Möglichkeiten offen bleiben. Allerdings sprechen erhebliche Tatsachen dafür, daß der Brand vorsätzlich herbeigeführt wurde. Dafür spricht insbesondere die Tatsache, daß die Ausgänge und Öffnungen des Teils der Halle, in dem die russischen Fremdarbeiter untergebracht waren, verschlossen und verrammelt gewesen sind, während die Halle im übrigen frei zugänglich war. Gleichwohl sind keine Russen verbrannt, aber nur deshalb nicht, weil sie von den anderen ausländischen Fremdarbeitern rechtzeitig befreit wurden....

Damit ergibt sich aber lediglich der Verdacht einer vorsätzlichen Brandstiftung. Die Aufklärung der Brandursache ist auch Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens gewesen, das negativ ausging. Gegenstand der Anklage bildet der Brand der Schützenhalle nicht. Es ist lediglich damit zu rechnen, daß der Brand am Rande im Gesamtsachverhalt des Prozesses erwähnt und daß vielleicht auch der Vermutung Ausdruck gegeben wird, daß der Brand vorsätzlich herbeigeführt sei.

Soweit der Brief des Arnsberger Rechtsanwaltes. Für mich ist die Sache insoweit klar, daß es keine Gegenbeweise gegen die Behauptung gibt, daß SS-Leute den Brand vorsätzlich herbeigeführt haben und die Behauptung scheint mir die plausibelste Erklärung für die Brandursache zu sein.
(s. Stadtarchiv Warstein H 250)“
 

So steht es in der „Chronik der Bürgergesellschaft Warstein“ von 1988.


 

Die Formulierung „von dem sinnlosen Zerstörungswerk einiger Fanatiker“ verstehe ich auch nicht. Es wird doch zitiert, daß „erhebliche Tatsachen dafür (sprechen), daß der Brand vorsätzlich herbeigeführt wurde. ... Gleichwohl sind keine Russen verbrannt, aber nur deshalb nicht, weil sie von den anderen ausländischen Fremdarbeitern rechtzeitig befreit wurden....“.

Der Sinn ist doch also deutlich benannt: Man wollte kurz vor ihrer Befreiung noch möglichst viele sowjetische Zwangsarbeiter töten. Das war der Sinn auch der Erschießungen im Langenbachtal, in Suttrop und Eversberg - so einfach, so schrecklich, so wahr!
Immer wieder erzählen mir „Einheimische“, daß „nach dem Krieg“ entweder gar nicht oder in völlig mitleidlosen Worten von „irgendwelchen Russen“ gesprochen worden sei, die „plündernd“ durch die Orte gezogen seien. Das Wort „Todesmärsche“ aber habe ich nie gehört; Gott sei Dank konnte ich aber darüber lesen.13

In Soest erzählte mir ein älterer Mann, seine Großmutter habe ihm früher immer von „Russen“ erzählt, die Kartoffeln gestohlen hätten, und er habe diese Diebe immer für „russische Soldaten“ gehalten. Unser Gespräch fand zur Zeit der Landtagswahl in NWR statt, in einem Parteibüro von „DIE LINKE“, dessen Tür zufällig offenstand und in das ich deshalb hineinging, um zu fragen, ob es Material zur Geschichte der Zwangsarbeiter gebe oder Adressen von Vereinen.

Nach diesem Gespräch kam ich auf die Idee, nicht nur Stolpersteine, sondern auch „Stottersteine“ zu verlegen. Stolpersteine beginnen ja mit „Hier wohnte ...“, Stottersteine begännen mit den Worten „Hier leistete Zwangsarbeit ...“.

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13 Peter Bürger, Jens Hahnwals und Georg D. Heidingsfelder, „Sühnekreuz Meschede. Die Massenmorde an
Zwangsarbeitern im Sauerland während der Endphase des 2. Weltkrieges und die Geschichte eines schwierigen
Gedenkens“, edition leutekirche sauerland 3, Norderstedt 2016; erweiterte Buchausgabe von „Zwischen
Jerusalem und Meschede“, kostenloser Download unter
http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots 76.pdf

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PS:
Dieses Photo fand ich lose in einem Ordner. Es zeigt meine Oma am Arm eines Mannes, der mein Opa, Dr. Segin, sein könnte. Da er ein halbes Jahr nach meiner Geburt starb, kann ich sein Gesicht nicht erkennen.
Die Schärpen jedenfalls kommen mir nach den obigen Bildern aus der Chronik bekannt vor. Weiß vielleicht jemand, von wann das Photo ist? Das ist doch in Warstein, oder?


 

Brand des Lagers Herrenberg - 1


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