Hunger und Krankheiten auf der indonesischen Insel Ambon
Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen / Provokationen der Armee?
Von Erhard Haubold
JAKARTA, 21.
Februar. Auf der indonesischen Molukken-Insel Ambon, wo schwere religiöse
Unruhen Ende des letzten Monats über hundert Todesopfer gefordert haben
(private Hilfsorganisationen sprechen inzwischen von 250 Toten) und wo Teile
der gleichnamigen Provinzstadt völlig zerstört wurden, besteht jetzt Hunger-
und Seuchengefahr. Etwa zwanzigtausend Menschen sind in schmutzigen Lagern
untergekommen; andere, ihre Häuser und Geschäfte zerstört, haben in Kirchen,
Moscheen und Kasernen Zuflucht gefunden. Viele leiden unter Trauma und Schock
und können nicht verstehen, warum es zu blutigen Ausschreitungen zwischen
Muslimen und Christen in einer Gegend gekommen ist, die bis dahin als Modell
für religiöse Harmonie galt. Fachleute in Jakarta halten die soziale
Explosionsgefahr überall dort für besonders groß, wo die religiösen Gruppen im
Verhältnis von ungefähr fünfzig zu fünfzig gemischt sind. Auf Ambon und
anderswo im indonesischen Inselreich haben die Christen in den letzten Jahren
viel von ihrer dominierenden Position verloren, die sie unter den
holländischen Kolonialherren einnehmen durften. Die muslimische Mehrheit, die
erst seit 1950 Zugang zu allen Bildungswegen hat, holt auf. Der
Politologie-Professor Salim Said will deshalb nicht von einer Islamisierung,
sondern von (überfälligen) sozialen und demographischen Veränderungen
sprechen. Auf Ambon und anderen vormals „christlichen" Inseln hat überdies
der Zuzug von islamischen Händlern und Handwerkern aus der benachbarten Insel
Sulawesi (Celebes) für Spannungen gesorgt, nicht zuletzt durch'die auch in der
Nacht plärrenden Lautsprecher der Moscheen. Zehntausende dieser Zuwanderer
drängen sich jetzt auf die Schiffe nach Sulawesi, viele haben alles verloren
und wollen nie wieder zurückkehren. Ausländische Missionare und Geschäftsleute
sind nach Jakarta und nach Australien geflogen worden; Touristen, einstmals
angezogen von den weißen Sandstränden Ambons, werden den Küsten der Molukken
lange Zeit fernbleiben.
Am Sonntag wurden katholische Gottesdienste in Kirchen
ohne Dächer und Fenster abgehalten. Dringend gesucht werden Arbeiter für die
Müllabfuhr, so groß sind die Zerstörungen. In den Lagern mangelt es bereits
ernsthaft an Reis, Zucker, Milch, Fleisch und Kochöl - auch deshalb, weil die
Flüchtlinge sich strikt nach Religionsgemeinschaften organisiert haben und
Hilfsorganisationen der anderen Seite den Zutritt verweigern - aus Angst vor
weiteren Unruhen. Besonders gefährdet sind Kinder, Schwangere und ältere
Menschen, Cholera hat schon die ersten Todesopfer gefordert. Die meisten Flüchtlinge
könnten bis zu ein Jahr in den Lagern verbringen müssen. Armee und Polizei
haben neuerdings in ganz Indonesien eine weitgehende Schießerlaubnis, mit der
Unruhestifter und Plünderer abgeschreckt werden sollen. Dennoch ist es den Uniformierten
auch in Ambon nicht gelungen, die Ausschreitungen zu verhindern oder rasch
unter Kontrolle zu bringen. Menschenrechtsgruppen und andere Beobachter sind
vielmehr überzeugt davon, daß die meisten Unruhen seit dem Ende der
Suharto-Diktatur im letzten Mai, vor allem die in Ost-Java, in Jakarta, in
West-Timor und jetzt in Ambon, provoziert wurden von Elementen der Streitkräfte
und der „Elite", womit Angehörige und politische Anhänger des
Suharto-Clans gemeint sind, die den demokratischen Wandel aufhalten wollen. Selbst
Polizeichef Roesmanhadi hat von „orchestrierten Massenaufständen"
gesprochen. Für Leute mit viel Geld sei es in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein
leichtes, junge Leute auf Lastwagen in entfernte Gegenden zu verfrachten, damit
sie dort für Spannungen sorgen. „Immer wieder werden Streichhölzer in Heuhafen
geworfen", wurde auf einem Seminar in der Hauptstadt gesagt. Aber bisher
sei es den Provokateuren nicht gelungen, den großen Zusammenbruch, die
Anarchie auszulösen und damit einen Militärputsch oder die nächste Diktatur zu
rechtfertigen. Der einstmals berühmte Geheimdienst der Streitkräfte sei
entweder nicht willens oder zu geschwächt, um die Hintergründe der Verbrechen
aufklären zu können. Die Beteuerungen des Oberkommandierenden General Wiranto,
den Demokratisierungsprozeß zu unterstützen, klängen entsprechend
unglaubwürdig.