FAZ 22.2.1999

 

Hunger und Krankheiten auf der indonesischen Insel Ambon

Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen / Provokationen der Armee?

Von Erhard Haubold

JAKARTA, 21. Februar. Auf der indo­nesischen Molukken-Insel Ambon, wo schwere religiöse Unruhen Ende des letz­ten Monats über hundert Todesopfer gefordert haben (private Hilfsorganisationen sprechen inzwischen von 250 Toten) und wo Teile der gleichnamigen Provinzstadt völlig zerstört wurden, besteht jetzt Hun­ger- und Seuchengefahr. Etwa zwanzigtau­send Menschen sind in schmutzigen La­gern untergekommen; andere, ihre Häuser und Geschäfte zerstört, haben in Kirchen, Moscheen und Kasernen Zuflucht gefun­den. Viele leiden unter Trauma und Schock und können nicht verstehen, war­um es zu blutigen Ausschreitungen zwi­schen Muslimen und Christen in einer Ge­gend gekommen ist, die bis dahin als Mo­dell für religiöse Harmonie galt. Fachleute in Jakarta halten die soziale Explosionsge­fahr überall dort für besonders groß, wo die religiösen Gruppen im Verhältnis von ungefähr fünfzig zu fünfzig gemischt sind. Auf Ambon und anderswo im indonesi­schen Inselreich haben die Christen in den letzten Jahren viel von ihrer dominieren­den Position verloren, die sie unter den holländischen Kolonialherren einnehmen durften. Die muslimische Mehrheit, die erst seit 1950 Zugang zu allen Bildungswe­gen hat, holt auf. Der Politologie-Profes­sor Salim Said will deshalb nicht von einer Islamisierung, sondern von (überfälligen) sozialen und demographischen Verände­rungen sprechen. Auf Ambon und ande­ren vormals „christlichen" Inseln hat überdies der Zuzug von islamischen Händlern und Handwerkern aus der benachbarten Insel Sulawesi (Celebes) für Spannungen gesorgt, nicht zuletzt durch'die auch in der Nacht plärrenden Lautsprecher der Mo­scheen. Zehntausende dieser Zuwanderer drängen sich jetzt auf die Schiffe nach Su­lawesi, viele haben alles verloren und wol­len nie wieder zurückkehren. Ausländische Missionare und Geschäftsleute sind nach Jakarta und nach Australien geflogen wor­den; Touristen, einstmals angezogen von den weißen Sandstränden Ambons, wer­den den Küsten der Molukken lange Zeit fernbleiben.

Am Sonntag wurden katholische Got­tesdienste in Kirchen ohne Dächer und Fenster abgehalten. Dringend gesucht werden Arbeiter für die Müllabfuhr, so groß sind die Zerstörungen. In den Lagern mangelt es bereits ernsthaft an Reis, Zucker, Milch, Fleisch und Kochöl - auch deshalb, weil die Flüchtlinge sich strikt nach Religionsgemeinschaften organisiert haben und Hilfsorganisationen der ande­ren Seite den Zutritt verweigern - aus Angst vor weiteren Unruhen. Besonders gefährdet sind Kinder, Schwangere und äl­tere Menschen, Cholera hat schon die er­sten Todesopfer gefordert. Die meisten Flüchtlinge könnten bis zu ein Jahr in den Lagern verbringen müssen. Armee und Polizei haben neuerdings in ganz Indone­sien eine weitgehende Schießerlaubnis, mit der Unruhestifter und Plünderer abge­schreckt werden sollen. Dennoch ist es den Uniformierten auch in Ambon nicht ge­lungen, die Ausschreitungen zu verhindern oder rasch unter Kontrolle zu bringen. Menschenrechtsgruppen und andere Be­obachter sind vielmehr überzeugt davon, daß die meisten Unruhen seit dem Ende der Suharto-Diktatur im letzten Mai, vor allem die in Ost-Java, in Jakarta, in West-Timor und jetzt in Ambon, provoziert wurden von Elementen der Streitkräfte und der „Elite", womit Angehörige und politische Anhänger des Suharto-Clans gemeint sind, die den demokratischen Wandel aufhalten wollen. Selbst Polizei­chef Roesmanhadi hat von „orchestrier­ten Massenaufständen" gesprochen. Für Leute mit viel Geld sei es in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit ein leichtes, junge Leute auf Lastwagen in entfernte Gegenden zu verfrachten, damit sie dort für Spannun­gen sorgen. „Immer wieder werden Streichhölzer in Heuhafen geworfen", wurde auf einem Seminar in der Haupt­stadt gesagt. Aber bisher sei es den Pro­vokateuren nicht gelungen, den großen Zusammenbruch, die Anarchie auszulö­sen und damit einen Militärputsch oder die nächste Diktatur zu rechtfertigen. Der einstmals berühmte Geheimdienst der Streitkräfte sei entweder nicht willens oder zu geschwächt, um die Hintergründe der Verbrechen aufklären zu können. Die Beteuerungen des Oberkommandierenden General Wiranto, den Demokratisie­rungsprozeß zu unterstützen, klängen entsprechend unglaubwürdig.