FAZ 26.2.1999

 

Ambon gleicht einer Geisterstadt

Immer mehr Unruhen in Indonesien / Von Erhard Haubold

JAKARTA, 25. Februar. Ambon, die Hauptstadt der ostindonesischen Molukken-Provinz, 2300 Kilometer von Jakarta entfernt, gleicht einer Geisterstadt. Allein in dieser Woche sind 24 Menschen umgekom­men, seit Ausbruch der blutigen Unruhen zwischen Muslimen und Christen am 19. Januar sind es mindestens 160, manche Be­obachter sprechen sogar von 600 Todesop­fern. Am Donnerstag haben Hunderte von Flüchtlingen Ambon mit Schiffen verlas­sen, eine Stadt, in der 3300 Häuser und zwei Dutzend Kirchen und Moscheen zer­stört worden sind, in der öffentliche Ver­kehrsmittel nicht mehr fahren und auch pri­vate Kraftfahrzeuge kaum zu sehen sind.

Immer wieder kämpfen Muslime und Christen mit selbstgemachten Benzinbom­ben, Macheten und Pfeilen gegeneinander. Und meist sind nicht religiöse Differenzen der Anlaß, sondern kleine Zwischenfälle, ethnische Spannungen, Bandenkriege und politische Rivalitäten. Die Zündschnur ist lang in einem Land, das die schlimmste wirtschaftliche Krise in dreißig Jahren durchmacht, in dem immer mehr Men­schen arbeitslos werden und nicht mehr ge­nug zu essen haben. Die Menschen leiden, sind emotional und können leicht provo­ziert werden.

Die Unruhen werden noch eine Weile weitergehen, meinen Fachleute in Jakarta, die aber erleichtert darüber sind, daß sich das Feuer auf die Insel Ambon und die gleichnamige Stadt beschränkt und nicht auf die 750 Kilometer entfernte Insel Sula­wesi übergesprungen ist, wo muslimische Buginesen Rache an der dort ansässigen christlichen Gemeinde nehmen könnten. Manche christlichen Organisationen sind freilich weniger zuversichtlich. Die Vereini­gung der Kirchen in Indonesien hat davor gewarnt, daß Ambon zum „killing field" werde, wenn es nicht bald zum Frieden zwi­schen den beiden Religionsgemeinschaften komme. Andere christliche Beobachter sprechen von einem Bürgerkrieg und von einer zunehmenden Christenverfolgung, der anwesende Polizisten und Soldaten oft teil­nahmslos zusähen. Während der Suharto-Diktatur seien 455 Kirchen der Brandstif­tung zum Opfer gefallen; unter Präsident Habibie, der noch nicht ein Jahr im Amt ist, seien es bereits 95 Gotteshäuser, wie das „Indonesian Christian Communication Forum" festgestellt hat. Mit einiger Sicherheit werden die Unruhen bis zu den Wahlen am 7. Juni weiter zunehmen. In Jakarta treffen Ausländer und wohlhabendere Einheimi­sche Vorbereitungen für längere Ferien ab Mitte Mai, die meisten Flüge sollen bereits ausgebucht sein. Die Internationale Schule unterrichtet neuerdings auch am Samstag, damit die Schüler das Semester schon im April beenden können.

Ausschreitungen gibt es außer auf den Molukken auch in Aceh (um Autonomie kämpfende Muslime), in Ost-Timor, in der Plantagengegend von Nordsumatra (Kleinbauern und Arbeitslose kämpfen um enteignetes Land), in Lampung auf Südsumatra (Umsiedler aus Java), in West-Kalimantan (Spannungen zwischen Dayak-Stammesleuten, ethnischen Chine­sen und zugewanderten Muslimen) sowie im ostjavanischen Surabaya (Demonstra­tionen und Streiks von Industriearbeitern).

Daß es in einem Archipel mit Hunder­ten von Volksgruppen und Sprachen im­mer wieder zu Zusammenstößen kommt, muß eigentlich nicht verwundern. In den mehr als dreißig Jahren der Suharto-Diktatur wurde der Welt ein Bild der Rassen- und Religionsharmonie vorgespielt und Spannungen wurden mit Hilfe des Militärs und der künstlichen Einheitsphilosophie Panca Sila unterdrückt. Jetzt fehlt der Leim, der bisher manches zusammenge­halten hat, kommen unter dem Teppich „die Kakerlaken" hervor, wie es ein Poli­tologe ausdrückt, die Schwierigkeiten, die drei Jahrzehnte nicht in Angriff genom­men wurden und „jetzt täglich auf dem Speisezettel stehen." Suharto hat aber auch eine geschwächte und in ihrem Anse­hen schwer beschädigte Armee hinterlas­sen, die sechzig Prozent ihrer ostjavani­schen Truppen nach Ambon geworfen hat, die Lage dort aber immer noch nicht im Griff hat. Auch weil ihnen die Bevölke­rung die Zusammenarbeit versagt, sind rund 300 000 Soldaten nicht in der Lage, mehrere im Inselreich gleichzeitig brennen­de Feuer zu löschen. Sorge muß es ma­chen, daß die Ausschreitungen vielerorts angezettelt werden, oft von herangereisten Provokateuren. Weil die Armee sich nicht bewegt, vermuten viele Bürger, daß die Übeltäter aus den Reihen der Streitkräfte kommen.