Ambon gleicht einer Geisterstadt
JAKARTA,
25. Februar. Ambon, die Hauptstadt der ostindonesischen Molukken-Provinz, 2300
Kilometer von Jakarta entfernt, gleicht einer Geisterstadt. Allein in dieser
Woche sind 24 Menschen umgekommen, seit Ausbruch der blutigen Unruhen zwischen
Muslimen und Christen am 19. Januar sind es mindestens 160, manche Beobachter
sprechen sogar von 600 Todesopfern. Am Donnerstag haben Hunderte von
Flüchtlingen Ambon mit Schiffen verlassen, eine Stadt, in der 3300 Häuser und
zwei Dutzend Kirchen und Moscheen zerstört worden sind, in der öffentliche Verkehrsmittel
nicht mehr fahren und auch private Kraftfahrzeuge kaum zu sehen sind.
Immer wieder
kämpfen Muslime und Christen mit selbstgemachten Benzinbomben, Macheten und
Pfeilen gegeneinander. Und meist sind nicht religiöse Differenzen der Anlaß,
sondern kleine Zwischenfälle, ethnische Spannungen, Bandenkriege und politische
Rivalitäten. Die Zündschnur ist lang in einem Land, das die schlimmste
wirtschaftliche Krise in dreißig Jahren durchmacht, in dem immer mehr Menschen
arbeitslos werden und nicht mehr genug zu essen haben. Die Menschen leiden,
sind emotional und können leicht provoziert werden.
Die Unruhen werden noch eine Weile weitergehen, meinen
Fachleute in Jakarta, die aber erleichtert darüber sind, daß sich das Feuer auf
die Insel Ambon und die gleichnamige Stadt beschränkt und nicht auf die 750
Kilometer entfernte Insel Sulawesi übergesprungen ist, wo muslimische
Buginesen Rache an der dort ansässigen christlichen Gemeinde nehmen könnten.
Manche christlichen Organisationen sind freilich weniger zuversichtlich. Die
Vereinigung der Kirchen in Indonesien hat davor gewarnt, daß Ambon zum
„killing field" werde, wenn es nicht bald zum Frieden zwischen den beiden
Religionsgemeinschaften komme. Andere christliche Beobachter sprechen von einem
Bürgerkrieg und von einer zunehmenden Christenverfolgung, der anwesende
Polizisten und Soldaten oft teilnahmslos zusähen. Während der Suharto-Diktatur
seien 455 Kirchen der Brandstiftung zum Opfer gefallen; unter Präsident
Habibie, der noch nicht ein Jahr im Amt ist, seien es bereits 95 Gotteshäuser,
wie das „Indonesian Christian Communication Forum" festgestellt hat. Mit
einiger Sicherheit werden die Unruhen bis zu den Wahlen am 7. Juni weiter
zunehmen. In Jakarta treffen Ausländer und wohlhabendere Einheimische
Vorbereitungen für längere Ferien ab Mitte Mai, die meisten Flüge sollen
bereits ausgebucht sein. Die Internationale Schule unterrichtet neuerdings auch
am Samstag, damit die Schüler das Semester schon im April beenden können.
Ausschreitungen
gibt es außer auf den Molukken auch in Aceh (um Autonomie kämpfende Muslime),
in Ost-Timor, in der Plantagengegend von Nordsumatra (Kleinbauern und
Arbeitslose kämpfen um enteignetes Land), in Lampung auf Südsumatra (Umsiedler
aus Java), in West-Kalimantan (Spannungen zwischen Dayak-Stammesleuten,
ethnischen Chinesen und zugewanderten Muslimen) sowie im ostjavanischen
Surabaya (Demonstrationen und Streiks von Industriearbeitern).
Daß es in einem
Archipel mit Hunderten von Volksgruppen und Sprachen immer wieder zu
Zusammenstößen kommt, muß eigentlich nicht verwundern. In den mehr als dreißig
Jahren der Suharto-Diktatur wurde der Welt ein Bild der Rassen- und
Religionsharmonie vorgespielt und Spannungen wurden mit Hilfe des Militärs und
der künstlichen Einheitsphilosophie Panca Sila unterdrückt. Jetzt fehlt der
Leim, der bisher manches zusammengehalten hat, kommen unter dem Teppich „die
Kakerlaken" hervor, wie es ein Politologe ausdrückt, die Schwierigkeiten,
die drei Jahrzehnte nicht in Angriff genommen wurden und „jetzt täglich auf
dem Speisezettel stehen." Suharto hat aber auch eine geschwächte und in
ihrem Ansehen schwer beschädigte Armee hinterlassen, die sechzig Prozent
ihrer ostjavanischen Truppen nach Ambon geworfen hat, die Lage dort aber immer
noch nicht im Griff hat. Auch weil ihnen die Bevölkerung die Zusammenarbeit
versagt, sind rund 300 000 Soldaten nicht in der Lage, mehrere im Inselreich
gleichzeitig brennende Feuer zu löschen. Sorge muß es machen, daß die
Ausschreitungen vielerorts angezettelt werden, oft von herangereisten
Provokateuren. Weil die Armee sich nicht bewegt, vermuten viele Bürger, daß die
Übeltäter aus den Reihen der Streitkräfte kommen.