FAZ 30.12.1999

 

Glaubenskrieg zwischen Christen und Muslimen auf Ambon

Lösung auf den Molukken dringlicher für die Einheit Indonesiens als die drohende Abspaltung Acehs / Trennung der Minderheiten gefordert / Von Erhard Haubold

 

COLOMBO, 29. Dezember. Die indone­sischen Militärs haben von der Polizei die „Sicherheit" auf der östlichen Insel Ambon übernommen, wo noch immer Gebäude brennen und seit Montag 63 Menschen nach gewaltsamen Ausbrüchen umgekom­men sind. Die Militärs können Verhaftun­gen und Hausdurchsuchungen vornehmen. Das ist faktisch die Vorstufe des Kriegs­rechts, auch wenn Präsident Abdurrahman Wahid weder dieses noch den Notstand offi­ziell ausrufen will. Im Grunde genommen sind die Generäle genauso ratlos wie der Präsident, der bei seinem Besuch kurz vor Weihnachten Christen und Muslime zu Frieden und Harmonie aufgerufen hat. Mit schönen Reden ist nämlich in Ambon, der Provinzhauptstadt der früher als Gewürzin­seln berühmten Molukken, nichts mehr zu bestellen. Und besonders explosiv ist die Lage jetzt, da christliche und muslimische Feste zusammenfallen. Seit Januar sind auf den Molukken, 2300 Kilometer östlich von Jakarta, mehr als Tausende von Menschen umgekommen. Allein in den letzten drei Ta­gen waren es an die hundert, wenn man die Toten auf den nahe gelegenen Inseln Banda und Buru dazurechnet. Plötzlich brin­gen Menschen, die jahrzehntelang friedlich nebeneinander gelebt haben, ihren Nach­barn um, vergewaltigen seine Tochter, zer­trümmern seinen Fernseher und stecken schließlich sein Haus in Brand. Ganze Stadtteile in Ambon, ganze Dörfer auf der gleichnamigen Insel liegen in Ruinen. Das letzte größere Blutbad Anfang der Woche geschah, nachdem ein christlicher Busfah­rer einen muslimischen Jungen verletzt hat­te. Ein paar Monate vorher war es der Streit zwischen einem muslimischen Schaff­ner und einem christlichen Fahrgast gewe­sen, der zum großen Krach führte: Da geht dann ein Flüstern durch die Straßen, be­waffnen sich die Angehörigen beider Kon­fessionen mit Messern, Sicheln und Spee­ren, neuerdings auch mit Handgranaten

und modernen Gewehren, die sie den Sol­daten abgekauft haben - und das nächste Gemetzel beginnt. „Wie seinerzeit Beirut, nur schlimmer", hat ein westlicher Diplo­mat nach seinem Besuch gesagt. Oder wie Belfast, könnte man anfügen. In Ambon be­wachen Christen und Muslime „ihre" Stadt­teile, und wehe, ein Mensch, ein Omnibus verirrt sich in die falsche Glaubensrich­tung. Mehrere zehntausend Menschen sind geflüchtet, hunderte verstecken sich in Kir­chen und Moscheen. Schulen, Büros und Märkte sind geschlossen. Und weil die Ghettos nicht klar abgegrenzt sind, weil man sich in der Stadt mit 250 000 Men­schen als Christ leicht zu den Muslimen ver­irren kann und umgekehrt auch, machen begleitende Soldaten und Polizisten ein gu­tes Geschäft mit „Schutzgeldern". Und hät­ten schon deshalb kein Interesse daran, den Konflikt zu beenden, behaupten die Einheimischen.

Wenn sie denn überhaupt könnten. Der Chef der Streitkräfte, Admiral Widodo, hat zugegeben, dass seine Leute besten­falls einer weiteren Verschlimmerung der Lage entgegenwirken können. Und sein Vorgänger Wiranto, heute mächtiger Mi­nister für Sicherheit, hat gesagt, dass ihm zu dem Religionskampf auf den Moluk­ken nichts mehr einfalle - ein bemerkens­wertes Eingeständnis angesichts der Son­derrolle und der Privilegien, die von den Militärs für ihre angebliche Fähigkeit be­ansprucht werden, als einzige das Reich der fünfzehntausend Inseln zusammenhal­ten zu können. Bischof Sulaso Sopater hat Anfang der Woche die Entsendung einer internationalen Friedenstruppe auf die Gewürzinseln, auf der insgesamt zwei Mil­lionen Einwohner leben, gefordert. Er hat Recht insofern, als die Streitkräfte mehr­heitlich aus Muslimen bestehen, denen die Christen nicht vertrauen. Anderer­seits ist die Polizei überwiegend „christ­lich" und wird vom islamischen Bevölke­rungsteil abgelehnt. Eine Lösung wäre die

Entsendung hinduistischer Regimenter aus Bali, wenn es die denn gäbe. Histo­risch falsch aber liegt der Bischof mit der Behauptung, mit den Christen seien die Ureinwohner der Molukken in Gefahr, „ausradiert" zu werden. Denn auch die Muslime sind echte „Söhne des Bodens" (Bumiputra). Nur eine Minderheit unter ihnen besteht aus Zugewanderten von an­deren Inseln, was ohne Zweifel eine weite­re Dimension des so schwer zu lösenden Konflikts ausmacht.

Vor vierhundert Jahren kamen erst die Portugiesen, dann die Holländer, um im Welthandel mit Gewürzen, insbesondere mit Nelken und Muskat, gegeneinander zu konkurrieren. Um die konkurrierenden Muslime im Norden der Insel in Schach zu halten, missionierten sie, die sich auf nur wenige eigene Soldaten stützen konnten, die Animisten im Süden, machten sie erst zu portugiesischen Katholiken und dann zu holländischen Protestanten, sorgten für ihre   Schulbildung,   lehrten  sie   die  malaiische Sprache - während im Norden ein ganz anderes Ambonesisch gesprochen wird - und sorgten so für einen sozialen Graben, der bis heute immer breiter gewor­den ist. Das auch deshalb, weil die Kolonial­herren ganze muslimische Dörfer brutal umsiedelten, weil sie soziale Strukturen ma­nipulierten und die Religion als Macht-und Kontrollmittel einsetzten. Überall im niederländisch-indischen Inselreich arbeite­ten Ambonesen als kleine Beamte, Verwal­ter und Lehrer. Und als Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der Nelkenhandel an Bedeutung verlor, wurden sie, als Beloh­nung für ihre Loyalität, Soldaten in der hol­ländischen Kolonialarmee. Sie kämpften gegen Muslime überall in Indonesien, sie waren beteiligt an den Kolonialkriegen in Aceh, Bali und Java, weshalb sie seither von der muslimischen Mehrheit - nur knapp sechs Prozent der indonesischen Be­völkerung von über 200 Millionen Men­schen sind Christen - auch „Verräter" ge­nannt werden. Ihre Marginalisierung be gann mit der indonesischen Unabhängig­keitsbewegung, die eine muslimisch geführ­te war und von der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg nur kurz unterbro­chen wurde. Als 1950 der indonesiche Ein­heitsstaat ausgerufen wurde, bäumten sich die christlichen Ambonesen zum letzten Mal auf und gründeten die Republik der Südlichen Molukken. Aber ihre Bewegung wurde von Sukarno, dem ersten Präsiden­ten Indonesiens, niedergeschlagen. Rund 50 000 Ambonesen gingen ins niederländi­sche Exil, von wo aus das Feuer in der alten Heimat mit Geld und Waffen genährt wird - behaupten jedenfalls die Muslime.

Weil Sukarno und Suharto, wohl wissend um die zentrifugalen Gefahren, die von Dut­zenden von Ethnien und Sprachen in einem der größten Inselreiche der Welt ausgehen können, mit aller, auch militärischer Kraft am Prinzip des unitarischen Staats festhiel­ten, konnte der Konflikt auf den Südlichen Molukken nie aus- oder aufgearbeitet wer­den. Die beiden Diktatoren legten einen Schleier vermeintlicher Harmonie über Ambon, einen Schleier namens panca sila, die Einheitsphilosophie, und behaupteten, gera­de auf den Gewürzinseln könne die Welt ein Beispiel für religiöse Harmonie beobachten. In Wirklichkeit war es eine Harmonie auf den Bayonetten der Streitkräfte, die rück­sichtslos, auch anderswo in Indonesien, zu­schlagen durften, wenn sich irgendwo ein Wi­derstand zeigte. Aber das geht nicht mehr in demokratischen Verhältnissen und mit einer Armee, deren Ruf mit jedem neu entdeck­ten Massengrab weiter sinkt, ganz zu schwei­gen von ihren Verbrechen in Ost-Timor. Weil aber der Schleier weggezogen ist, kön­nen sich die alten Konflikte ausleben. Und weil sie so lange unterdrückt waren, ist ihre Gewalt so verheerend und eine Lösung nicht in Sicht. Wesentlich verschärft wird die Lage noch dadurch, dass es in den Jahrzehn­ten unter Suharto zwar keine gezielte „Trans­migration" auf die Molukken gab, wohl aber eine Zuwanderung hart arbeitender Händler und Kleinbauern vor allem aus Südsula­wesi, die allesamt Muslime sind. Mit der Fol­ge, dass der Anteil der Christen im südli­chen Teil der Insel Ambon auf die Hälfte sank und ihr sozialer Neid weiter wuchs. Auch deshalb, weil auf den Posten des Gou­verneurs, traditionell mit einem Javaner be­setzt, in den achtziger Jahren erstmals ein einheimischer Muslim gesetzt wurde, der nichts Besseres zu tun wusste, als für seinen Clan zu sorgen und auch noch einen Cousin zum Nachfolger zu bestellen. Auch die ande­re alte Übung, den Posten des Regionalse­kretärs mit einem Christen zu besetzen, wur­de nicht mehr eingehalten. Hier liegen die Wurzeln des Feuers auf Ambon, wo krude beschriebene Tafeln Buginesen, Butonesen und Makassari, alle aus Südsulawesi, auffor­dern, „zu verschwinden oder getötet zu wer­den". Wo anderseits an Ruinen christlicher Dörfer Sprüche wie „christliche Hunde" zu lesen sind.

Für Präsident Wahid stellt der Religions­krieg auf Ambon die wichtigste Aufgabe dar, wahrscheinlich noch vor der drohen­den Abspaltung Acehs. Die Lösung könnte eine Generation lang dauern, weil die At­mosphäre so vergiftet ist, meint der deut­sche Doktorand Marcus Mietzner von der Australian National University in Canber­ra, der seine Magisterarbeit über Ambon geschrieben hat. Wie in Bosnien müssten die verfeindeten Gruppen auseinanderge­halten werden, meint er, und schließt auch eine „Berliner Mauer" nicht aus, um we­nigstens das Blutvergießen einzuschrän­ken. Dieser Gedanke kam auch auf einer Anhörung im indonesischen Parlament vor einem Monat zur Sprache. Zusammen mit der Idee, die ganze Bevölkerung von Am­bon erst einmal auf die benachbarte Insel Ceram zu verpflanzen - zur Beruhigung der Situation. Ausnahmsweise haben die Streitkräfte das Feuer auf Ambon nicht ge­legt. Was nicht ausschließt, dass sie es am Leben erhalten - um gerade jetzt ihre Exis­tenzberechtigung zu untermauern und von ihren Verbrechen anderswo abzulenken.