Glaubenskrieg zwischen Christen und Muslimen auf Ambon
Lösung auf den Molukken dringlicher für die Einheit Indonesiens als die drohende Abspaltung Acehs / Trennung der Minderheiten gefordert / Von Erhard Haubold
COLOMBO, 29. Dezember. Die indonesischen Militärs haben
von der Polizei die „Sicherheit" auf der östlichen Insel Ambon übernommen,
wo noch immer Gebäude brennen und seit Montag 63 Menschen nach gewaltsamen
Ausbrüchen umgekommen sind. Die Militärs können Verhaftungen und
Hausdurchsuchungen vornehmen. Das ist faktisch die Vorstufe des Kriegsrechts,
auch wenn Präsident Abdurrahman Wahid weder dieses noch den Notstand offiziell
ausrufen will. Im Grunde genommen sind die Generäle genauso ratlos wie der
Präsident, der bei seinem Besuch kurz vor Weihnachten Christen und Muslime zu
Frieden und Harmonie aufgerufen hat. Mit schönen Reden ist nämlich in Ambon,
der Provinzhauptstadt der früher als Gewürzinseln berühmten Molukken, nichts
mehr zu bestellen. Und besonders explosiv ist die Lage jetzt, da christliche
und muslimische Feste zusammenfallen. Seit Januar sind auf den Molukken, 2300
Kilometer östlich von Jakarta, mehr als Tausende von Menschen umgekommen.
Allein in den letzten drei Tagen waren es an die hundert, wenn man die Toten
auf den nahe gelegenen Inseln Banda und Buru dazurechnet. Plötzlich bringen
Menschen, die jahrzehntelang friedlich nebeneinander gelebt haben, ihren Nachbarn
um, vergewaltigen seine Tochter, zertrümmern seinen Fernseher und stecken
schließlich sein Haus in Brand. Ganze Stadtteile in Ambon, ganze Dörfer auf der
gleichnamigen Insel liegen in Ruinen. Das letzte größere Blutbad Anfang der Woche
geschah, nachdem ein christlicher Busfahrer einen muslimischen Jungen verletzt
hatte. Ein paar Monate vorher war es der Streit zwischen einem muslimischen
Schaffner und einem christlichen Fahrgast gewesen, der zum großen Krach
führte: Da geht dann ein Flüstern durch die Straßen, bewaffnen sich die
Angehörigen beider Konfessionen mit Messern, Sicheln und Speeren, neuerdings
auch mit Handgranaten
und modernen
Gewehren, die sie den Soldaten abgekauft haben - und das nächste Gemetzel
beginnt. „Wie seinerzeit Beirut, nur schlimmer", hat ein westlicher Diplomat
nach seinem Besuch gesagt. Oder wie Belfast, könnte man anfügen. In Ambon bewachen
Christen und Muslime „ihre" Stadtteile, und wehe, ein Mensch, ein Omnibus
verirrt sich in die falsche Glaubensrichtung. Mehrere zehntausend Menschen
sind geflüchtet, hunderte verstecken sich in Kirchen und Moscheen. Schulen,
Büros und Märkte sind geschlossen. Und weil die Ghettos nicht klar abgegrenzt
sind, weil man sich in der Stadt mit 250 000 Menschen als Christ leicht zu den
Muslimen verirren kann und umgekehrt auch, machen begleitende Soldaten und
Polizisten ein gutes Geschäft mit „Schutzgeldern". Und hätten schon
deshalb kein Interesse daran, den Konflikt zu beenden, behaupten die
Einheimischen.
Wenn sie denn
überhaupt könnten. Der Chef der Streitkräfte, Admiral Widodo, hat zugegeben,
dass seine Leute bestenfalls einer weiteren Verschlimmerung der Lage
entgegenwirken können. Und sein Vorgänger Wiranto, heute mächtiger Minister
für Sicherheit, hat gesagt, dass ihm zu dem Religionskampf auf den Molukken
nichts mehr einfalle - ein bemerkenswertes Eingeständnis angesichts der Sonderrolle
und der Privilegien, die von den Militärs für ihre angebliche Fähigkeit beansprucht
werden, als einzige das Reich der fünfzehntausend Inseln zusammenhalten zu
können. Bischof Sulaso Sopater hat Anfang der Woche die Entsendung einer
internationalen Friedenstruppe auf die Gewürzinseln, auf der insgesamt zwei Millionen
Einwohner leben, gefordert. Er hat Recht insofern, als die Streitkräfte mehrheitlich
aus Muslimen bestehen, denen die Christen nicht vertrauen. Andererseits ist
die Polizei überwiegend „christlich" und wird vom islamischen Bevölkerungsteil
abgelehnt. Eine Lösung wäre die
Entsendung
hinduistischer Regimenter aus Bali, wenn es die denn gäbe. Historisch falsch
aber liegt der Bischof mit der Behauptung, mit den Christen seien die
Ureinwohner der Molukken in Gefahr, „ausradiert" zu werden. Denn auch die
Muslime sind echte „Söhne des Bodens" (Bumiputra). Nur eine Minderheit
unter ihnen besteht aus Zugewanderten von anderen Inseln, was ohne Zweifel
eine weitere Dimension des so schwer zu lösenden Konflikts ausmacht.
Vor vierhundert
Jahren kamen erst die Portugiesen, dann die Holländer, um im Welthandel mit
Gewürzen, insbesondere mit Nelken und Muskat, gegeneinander zu konkurrieren. Um
die konkurrierenden Muslime im Norden der Insel in Schach zu halten,
missionierten sie, die sich auf nur wenige eigene Soldaten stützen konnten, die
Animisten im Süden, machten sie erst zu portugiesischen Katholiken und dann zu
holländischen Protestanten, sorgten für ihre
Schulbildung, lehrten sie
die malaiische Sprache - während
im Norden ein ganz anderes Ambonesisch gesprochen wird - und sorgten so für einen
sozialen Graben, der bis heute immer breiter geworden ist. Das auch deshalb,
weil die Kolonialherren ganze muslimische Dörfer brutal umsiedelten, weil sie
soziale Strukturen manipulierten und die Religion als Macht-und Kontrollmittel
einsetzten. Überall im niederländisch-indischen Inselreich arbeiteten
Ambonesen als kleine Beamte, Verwalter und Lehrer. Und als Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts der Nelkenhandel an Bedeutung verlor, wurden sie, als Belohnung
für ihre Loyalität, Soldaten in der holländischen Kolonialarmee. Sie kämpften
gegen Muslime überall in Indonesien, sie waren beteiligt an den Kolonialkriegen
in Aceh, Bali und Java, weshalb sie seither von der muslimischen Mehrheit - nur
knapp sechs Prozent der indonesischen Bevölkerung von über 200 Millionen Menschen
sind Christen - auch „Verräter" genannt werden. Ihre Marginalisierung be gann mit der
indonesischen Unabhängigkeitsbewegung, die eine muslimisch geführte war und
von der japanischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg nur kurz unterbrochen
wurde. Als 1950 der indonesiche Einheitsstaat ausgerufen wurde, bäumten sich
die christlichen Ambonesen zum letzten Mal auf und gründeten die Republik der
Südlichen Molukken. Aber ihre Bewegung wurde von Sukarno, dem ersten Präsidenten
Indonesiens, niedergeschlagen. Rund 50 000 Ambonesen gingen ins niederländische
Exil, von wo aus das Feuer in der alten Heimat mit Geld und Waffen genährt wird
- behaupten jedenfalls die Muslime.
Weil Sukarno und
Suharto, wohl wissend um die zentrifugalen Gefahren, die von Dutzenden von
Ethnien und Sprachen in einem der größten Inselreiche der Welt ausgehen können,
mit aller, auch militärischer Kraft am Prinzip des unitarischen Staats festhielten,
konnte der Konflikt auf den Südlichen Molukken nie aus- oder aufgearbeitet werden.
Die beiden Diktatoren legten einen Schleier vermeintlicher Harmonie über Ambon,
einen Schleier namens panca sila, die Einheitsphilosophie, und behaupteten,
gerade auf den Gewürzinseln könne die Welt ein Beispiel für religiöse Harmonie
beobachten. In Wirklichkeit war es eine Harmonie auf den Bayonetten der
Streitkräfte, die rücksichtslos, auch anderswo in Indonesien, zuschlagen
durften, wenn sich irgendwo ein Widerstand zeigte. Aber das geht nicht mehr in
demokratischen Verhältnissen und mit einer Armee, deren Ruf mit jedem neu
entdeckten Massengrab weiter sinkt, ganz zu schweigen von ihren Verbrechen in
Ost-Timor. Weil aber der Schleier weggezogen ist, können sich die alten
Konflikte ausleben. Und weil sie so lange unterdrückt waren, ist ihre Gewalt so
verheerend und eine Lösung nicht in Sicht. Wesentlich verschärft wird die Lage
noch dadurch, dass es in den Jahrzehnten unter Suharto zwar keine gezielte
„Transmigration" auf die Molukken gab, wohl aber eine Zuwanderung hart
arbeitender Händler und Kleinbauern vor allem aus Südsulawesi, die allesamt
Muslime sind. Mit der Folge, dass der Anteil der Christen im südlichen Teil
der Insel Ambon auf die Hälfte sank und ihr sozialer Neid weiter wuchs. Auch
deshalb, weil auf den Posten des Gouverneurs, traditionell mit einem Javaner
besetzt, in den achtziger Jahren erstmals ein einheimischer Muslim gesetzt
wurde, der nichts Besseres zu tun wusste, als für seinen Clan zu sorgen und
auch noch einen Cousin zum Nachfolger zu bestellen. Auch die andere alte
Übung, den Posten des Regionalsekretärs mit einem Christen zu besetzen, wurde
nicht mehr eingehalten. Hier liegen die Wurzeln des Feuers auf Ambon, wo krude
beschriebene Tafeln Buginesen, Butonesen und Makassari, alle aus Südsulawesi,
auffordern, „zu verschwinden oder getötet zu werden". Wo anderseits an
Ruinen christlicher Dörfer Sprüche wie „christliche Hunde" zu lesen sind.
Für Präsident
Wahid stellt der Religionskrieg auf Ambon die wichtigste Aufgabe dar,
wahrscheinlich noch vor der drohenden Abspaltung Acehs. Die Lösung könnte eine
Generation lang dauern, weil die Atmosphäre so vergiftet ist, meint der deutsche
Doktorand Marcus Mietzner von der Australian National University in Canberra,
der seine Magisterarbeit über Ambon geschrieben hat. Wie in Bosnien müssten die
verfeindeten Gruppen auseinandergehalten werden, meint er, und schließt auch
eine „Berliner Mauer" nicht aus, um wenigstens das Blutvergießen einzuschränken.
Dieser Gedanke kam auch auf einer Anhörung im indonesischen Parlament vor einem
Monat zur Sprache. Zusammen mit der Idee, die ganze Bevölkerung von Ambon erst
einmal auf die benachbarte Insel Ceram zu verpflanzen - zur Beruhigung der
Situation. Ausnahmsweise haben die Streitkräfte das Feuer auf Ambon nicht gelegt.
Was nicht ausschließt, dass sie es am Leben erhalten - um gerade jetzt ihre
Existenzberechtigung zu untermauern und von ihren Verbrechen anderswo
abzulenken.