Frankfurter Allgemeinen Zeitung FAZ 9.3.1999

 

Droht zwischen Christen und Muslimen in Indonesien ein „heiliger Krieg“?

Das Suharto-Regime hat die Zeitbombe „Transmigration“ hinterlassen / Von Erhard Haubold

 

JAKARTA, 8. März.

Über die Zukunft Indonesiens wird möglicherweise nicht in der Hauptstadt, sondern auf weit entfern­ten Inseln wie Ambon entschieden: Kann der Archipel (13 000 Inseln, 300 ethnische Gruppen, 365 Sprachen und Dialekte) zu­sammengehalten werden? Läßt sich ein „heiliger Krieg" zwischen Muslimen (mehr als achtzig Prozent der Bevölkerung) und Christen im größten islamischen Land der Welt vermeiden? Mit einem „Jihad Jihad" haben am vergangenen Wochenende aber­mals Demonstranten in Jakarta gedroht. Mehr als hunderttausend dürften es gewe­sen sein, die selbst auf die Molukken fah­ren wollen, wenn das Blutbad dort zwi­schen Christen und Muslimen nicht bald beendet wird. Aber die Aussichten sind schlecht, auch wenn die Streitkräfte immer mehr Soldaten und Elitetruppen auf die 2300 Kilometer lange Reise nach Osten schicken. Denn das militärische Repres­sionsinstrument der Suharto-Diktator hat das Vertrauen der Bevölkerung verloren, hat es überdies noch nicht gelernt, mit den neuen Zeiten zurechtzukommen, in denen Folter, Ohrfeigen, Elektroschocks und an­dere Verletzungen der Menschenrechte be­straft werden. Muslime auf Ambon be­haupten, daß sie von christlichen Soldaten keinen Schutz zu erwarten hätten. Umge­kehrt erzählen Christen, daß sie 200 000 bis 400 000 Rupiahs (rund vierzig bis acht­zig Mark) für uniformierte „Begleiter" zahlen müssen, wenn sie sicher durch die „Barrikaden" kommen wollen, hinter de­nen sich die Religionsgemeinschaften ver­schanzt haben, an denen schnell erschos­sen oder erstochen wird, wer sich nicht ausweisen kann.

In den sechs Wochen der Gewalt in den Dörfern auf Ambon und der gleichnami­gen Provinzstadt sind mehr als zweihun­dert Menschen umgekommen, oft auf be­stialische Art ermordet worden. Ein junger Christ hat die Leiche seines Bruders im brackigen Hafenwasser gefunden, in einem mit Steinen beschwerten Jutesack. „Über­all liegen Leichen herum", berichtet ein Muslim, der in einer Moschee auf die ver­stümmelten Toten einer Familie gestoßen ist, schwangere Mutter, Vater und drei kleine Kinder. Zu Hunderten sind Mo­scheen und christliche Kirchen, sind Häu­ser und Geschäfte zerstört und verbrannt worden. Überall Ruinen und Flüchtlinge, denen allmählich Reis und Kochöl ausge­hen: seit vierzehn Tagen weigern sich die Kapitäne von Frachtschiffen, in Ambon Anker zu werfen - möglicherweise auch aus Angst vor den Tausenden von Men­schen, die jedes einlaufende Fahrzeug stür­men. Die Lebensmittelpreise sind auf das Doppelte gestiegen, die Schulen sind leer, in den Büros wird höchstens bis Mittag ge­arbeitet, und der Polizeichef ist von Jakar­ta wegen Imkompetenz entlassen worden. Religiöser Haß hat die über Jahrzehnte ge­rühmte Harmonie zerstört, Gerüchte ver­drängen Fakten und führen zu immer neu­en Gewaltausbrüchen an den Straßensper­ren, an denen Muslime und Christen, ge­stern noch gute Nachbarn, heute mit Molotow-Cocktails, Macheten, Speeren und Messern aufeinander losgehen. „Hier ist der Pfarrer umgebracht worden, die Lei­che haben sie zerstückelt und verbrannt", erzählt ein Fischer in Nania, einem von Hunderten zerstörter Dörfer auf Ambon. „Jahrelang lebten hier Christen und Mus­lime wie Brüder und Schwestern zusam­men, was ist nur passiert, jetzt traut keiner mehr dem anderen.1" In Hila, einem ande­ren Dorf, ist von der ältesten Kirche Indo­nesiens nur noch ein Haufen Steine übrig.

Die Armee hat den Befehl, ohne War­nung zu schießen, aber nur auf die Beine und den Unterleib. Verdächtige sollen „paralysiert, aber nicht getötet werden", so der Chef der Streitkräfte, General Wiranto, der von dem „brutalsten Aufstand" in der Geschichte des Landes gesprochen hat. Wie machtlos seine Offiziere sind, er­hellt aus ihrer Erklärung, daß die Schaf­fung separater christlicher und muslimi­scher Zonen die einzige Möglichkeit sei, das Blutvergießen zu beenden. Die beiden Glaubensgemeinschaften „müssen ge­trennt werden und die Streitkräfte als Ver­mittler dazwischen stehen", so General Gumelar, der Chef des Nationalen Insti­tuts für Verteidigung (Lemhanas). Beson­ders aber muß es den Soldaten darauf an­kommen, die Ausbreitung des religiösen Feuers auf andere Inseln zu verhindern. Die für die Zukunft Indonesiens entschei­dende Frage ist, ob die Brutalität in den Straßen von Ambon den Zusammenbruch historisch gewachsener, aber dennoch fra­giler Beziehungen zwischen der muslimi­schen Mehrheit und den religiösen und kulturellen Minderheiten signalisiert. Sind die Muslime auf den Großinseln Java und Sumatra konzentriert, so wurden die außen gelegenen, weniger dicht bevölker­ten Inseln oft von Christen dominiert. Ambon, mit rund 400 000 Einwohnern, lange Zeit das Zentrum der berühmten Gewürzinseln, galt als Schaufenster reli­giöser Toleranz. An einstmals wichtigen Handelsstraßen gelegen, hatte Ambon Kontakte mit muslimischen Händlern aus Arabien, aber auch mit holländischen Mis­sionaren. Und das erklärt die lange Zeit, in der die Angehörigen beider Religionen friedlich zusammenlebten, in der Christen und Muslime einander beim Bau von Kir­chen und Moscheen halfen, in der „Pela Gandung" galt, eine Art Nachbarschafts­philosophie, die potentielle religiöse Grä­ben überwinden half. Das funktionierte über Jahrhunderte hinweg, es funktioniert nicht mehr.

Suharto tabuisierte religiösen Streit

Unter Suharto, mehr als dreißig Jahre lang, war religiöser Streit tabu, wurde reli­giöse Gewalt hart bestraft, sollte die Ein­heitsphilosophie Pancasila Differenzen gar nicht erst aufkommen lassen. Gleichzeitig und finanziell unterstützt von der Welt­bank betrieb Suharto ein „transmigrasi" genanntes Programm: die Umsiedlung, nicht selten mit sanftem Zwang, von den überfüllten Hauptinseln Java und Sumatra in „leere" Gegenden wie Timor, Kalimantan, Irian Jaya und eben die Molukken. Ein paar Millionen meist armer Menschen be­kamen so eine neue Heimat zugewiesen, nicht selten ein schlecht gerodetes Stück Dschungelland. Die Neuankömmlinge wa­ren Muslime, auf den „entfernten" Inseln aber war die Bevölkerungsmehrheit christ­lich, hatte relativ wenig Kontakt mit mo­derner Technik, mit Handel und Kommu­nikation, war deshalb nicht konkurrenzfä­hig und wurde marginalisiert von den neu­en Siedlern, die rasch Handel und Verkehr an sich rissen, die besseren sozialen und wirtschaftlichen Qualifikationen hatten und, wie bei Immigranten üblich, zusam­menhielten wie Pech und Schwefel. Die Re­gierung tat ein übriges, indem sie traditio­nell in Gemeineigentum befindliches Land einfach parzellierte und an die gerade ange­kommenen Muslime verteilte. Und indem sie immer mehr Stellen in der Provinzver­waltung mit Muslimen besetzte, vor zwei Jahren selbst die Posten des Gouverneurs und seines Stellvertreters in Ambon, die vorher immer Christen innehatten.

Man mag sagen, daß dies die Normalität sei   in  einem  mehrheitlich   muslimischen Land mit Bewegungsfreiheit für die Bevölkerung. Die Christen aber sprechen von ei­ner Islamisierung, sie schauen nach Jakar­ta, wo ihre Glaubensgenossen schon unter Suharto ihre einflußreichen Posten in der Administration und in der Armee verloren haben, wo unter Habibie der „islamische Geschmack" kräftiger wird. Das ist an der Mehrheit orientierte Politik, für die Chri­sten aber, weniger als zehn Prozent der Be­völkerung, ist es eine Bedrohung ihrer Kul­tur. Der Vorsitzende einer christlichen Stu­dentengruppe auf Ambon macht „Jahre der Diskriminierung zugunsten der Musli­me" für die blutigen Unruhen verantwort­lich und spricht von einer Zeitbombe der alten Regierung (Suharto). Muslime ver­dächtigen Christen, einen unabhängigen christlichen Staat zu planen. Und die Chri­sten sehen sich von agilen muslimischen Zuwanderern zu einer einflußlosen Minder­heit verdrängt. Die Zerstörung von Häu­sern, Kirchen und Moscheen ist die ein­fachste Möglichkeit, die demographischen Proportionen zu ändern.

Ursache der Gewalt auf Ambon könnten wie anderswo fremde Provokateure gewe­sen sein, bezahlt von der Suharto-Clique oder dem Militär mit dem Ziel, die Regie­rung Habibie zu diskreditieren und die Un­abkömmlichkeit der Soldaten zu beweisen. Einheimische machen die Attacke eines muslimischen Mobs auf Christen verant­wortlich, die angeblich während des Fa­stenmonats Ramadan Alkohol getrunken hatten. Möglicherweise läßt sich auch ein Bogen schlagen von den Unruhen in Kupang (West-Timor) Ende des vergangenen Jahres, einer mehrheitlich christlichen Ge­meinde, wo Moscheen in Flammen aufgin­gen und Muslime die Flucht ergreifen muß­ten. Darauf kam es zu Racheattacken isla­mischer Banden in Jakarta, die in aller Öffentlichkeit und ungehindert durch Polizei oder Militär fliegende „islamische Gerich­te" bildeten und Todesurteile verkündeten: sechs Christen wurden gefoltert und umge­bracht, weitere acht verbrannt. Die Mehr­zahl der Opfer waren Christen aus Ambon, das könnte die böse, blutrünstige Stim­mung in ihrer zweitausend Kilometer ent­fernten Heimat erklären, den totalen Ver­trauensverlust zwischen den beiden religiö­sen Gemeinschaften. Marzuki Darusman, der Vorsitzende der Nationalen Menschen­rechtskommission, befürchtet, „daß Am­bon ein nationales Problem werden könnte. Die Regierung muß schneller arbeiten, wenn sie es auf die Provinz begrenzen will. Die Gefahr der religiösen Gewalt in ganz Indonesien hängt davon ab, wie die Situa­tion auf den Molukken gelöst wird." Die große Hoffnung sind die Parlamentswahlen im Juni, der erste freie und demokratische Urnengang seit 1955, bei dem Mehrheit und Minderheit ihren Frustrationen Aus­druck geben können. Aber bis dahin verge­hen noch drei spannungsreiche Monate. Und während Abdurrahman Wahid, der moderate Führer der größten islamischen Gemeinschaft Nahdlatul Ulama (rund 40 Millionen Anhänger), einen „heiligen Krieg" ins Reich der Phantasie verbannt, kommen von radikalen Muslimen, immer noch eine kleine Minderheit, schärfere Töne. Eggi Sudjana, der Chef der Gewerk­schaft der Muslimischen Bruderschaft (600 000 Mitglieder), hat mit Krieg in Am­bon gedroht, wenn das Militär die Lage nicht innerhalb von zwei Wochen unter Kontrolle bekommen sollte. Und sein Gei­stesverwandter Ahmad Sumargono vom Komitee für Islamische Solidarität (Kisdi) mit rund fünftausend Mitgliedern hat ge­warnt, daß der heilige Krieg, in Ambon erst einmal ausgebrochen, auch andere Teile des Archipels erfassen könnte.