Droht zwischen Christen und Muslimen in Indonesien
ein „heiliger Krieg“?
JAKARTA, 8. März.
Über
die Zukunft Indonesiens wird möglicherweise nicht in der Hauptstadt, sondern
auf weit entfernten Inseln wie Ambon entschieden: Kann der Archipel (13 000
Inseln, 300 ethnische Gruppen, 365 Sprachen und Dialekte) zusammengehalten
werden? Läßt sich ein „heiliger Krieg" zwischen Muslimen (mehr als achtzig
Prozent der Bevölkerung) und Christen im größten islamischen Land der Welt
vermeiden? Mit einem „Jihad Jihad" haben am vergangenen Wochenende abermals
Demonstranten in Jakarta gedroht. Mehr als hunderttausend dürften es gewesen
sein, die selbst auf die Molukken fahren wollen, wenn das Blutbad dort zwischen
Christen und Muslimen nicht bald beendet wird. Aber die Aussichten sind
schlecht, auch wenn die Streitkräfte immer mehr Soldaten und Elitetruppen auf
die 2300 Kilometer lange Reise nach Osten schicken. Denn das militärische
Repressionsinstrument der Suharto-Diktator hat das Vertrauen der Bevölkerung
verloren, hat es überdies noch nicht gelernt, mit den neuen Zeiten
zurechtzukommen, in denen Folter, Ohrfeigen, Elektroschocks und andere
Verletzungen der Menschenrechte bestraft werden. Muslime auf Ambon behaupten,
daß sie von christlichen Soldaten keinen Schutz zu erwarten hätten. Umgekehrt
erzählen Christen, daß sie 200 000 bis 400 000 Rupiahs (rund vierzig bis achtzig
Mark) für uniformierte „Begleiter" zahlen müssen, wenn sie sicher durch
die „Barrikaden" kommen wollen, hinter denen sich die
Religionsgemeinschaften verschanzt haben, an denen schnell erschossen oder
erstochen wird, wer sich nicht ausweisen kann.
In den sechs
Wochen der Gewalt in den Dörfern auf Ambon und der gleichnamigen Provinzstadt
sind mehr als zweihundert Menschen umgekommen, oft auf bestialische Art
ermordet worden. Ein junger Christ hat die Leiche seines Bruders im brackigen
Hafenwasser gefunden, in einem mit Steinen beschwerten Jutesack. „Überall
liegen Leichen herum", berichtet ein Muslim, der in einer Moschee auf die
verstümmelten Toten einer Familie gestoßen ist, schwangere Mutter, Vater und
drei kleine Kinder. Zu Hunderten sind Moscheen und christliche Kirchen, sind
Häuser und Geschäfte zerstört und verbrannt worden. Überall Ruinen und
Flüchtlinge, denen allmählich Reis und Kochöl ausgehen: seit vierzehn Tagen
weigern sich die Kapitäne von Frachtschiffen, in Ambon Anker zu werfen -
möglicherweise auch aus Angst vor den Tausenden von Menschen, die jedes
einlaufende Fahrzeug stürmen. Die Lebensmittelpreise sind auf das Doppelte
gestiegen, die Schulen sind leer, in den Büros wird höchstens bis Mittag gearbeitet,
und der Polizeichef ist von Jakarta wegen Imkompetenz entlassen worden.
Religiöser Haß hat die über Jahrzehnte gerühmte Harmonie zerstört, Gerüchte
verdrängen Fakten und führen zu immer neuen Gewaltausbrüchen an den
Straßensperren, an denen Muslime und Christen, gestern noch gute Nachbarn,
heute mit Molotow-Cocktails, Macheten, Speeren und Messern aufeinander
losgehen. „Hier ist der Pfarrer umgebracht worden, die Leiche haben sie
zerstückelt und verbrannt", erzählt ein Fischer in Nania, einem von
Hunderten zerstörter Dörfer auf Ambon. „Jahrelang lebten hier Christen und Muslime
wie Brüder und Schwestern zusammen, was ist nur passiert, jetzt traut keiner
mehr dem anderen.1" In Hila, einem anderen Dorf, ist von der
ältesten Kirche Indonesiens nur noch ein Haufen Steine übrig.
Die Armee hat den
Befehl, ohne Warnung zu schießen, aber nur auf die Beine und den Unterleib. Verdächtige sollen „paralysiert,
aber nicht getötet werden", so der Chef der Streitkräfte, General Wiranto,
der von dem „brutalsten Aufstand" in der Geschichte des Landes gesprochen
hat. Wie machtlos seine Offiziere sind, erhellt aus ihrer Erklärung, daß die
Schaffung separater christlicher und muslimischer Zonen die einzige
Möglichkeit sei, das Blutvergießen zu beenden. Die beiden
Glaubensgemeinschaften „müssen getrennt werden und die Streitkräfte als Vermittler
dazwischen stehen", so General Gumelar, der Chef des Nationalen Instituts
für Verteidigung (Lemhanas). Besonders aber muß es den Soldaten darauf ankommen,
die Ausbreitung des religiösen Feuers auf andere Inseln zu verhindern. Die für
die Zukunft Indonesiens entscheidende Frage ist, ob die Brutalität in den
Straßen von Ambon den Zusammenbruch historisch gewachsener, aber dennoch fragiler
Beziehungen zwischen der muslimischen Mehrheit und den religiösen und kulturellen
Minderheiten signalisiert. Sind die Muslime auf den Großinseln Java und Sumatra
konzentriert, so wurden die außen gelegenen, weniger dicht bevölkerten Inseln
oft von Christen dominiert. Ambon, mit rund 400 000 Einwohnern, lange Zeit das
Zentrum der berühmten Gewürzinseln, galt als Schaufenster religiöser Toleranz.
An einstmals wichtigen Handelsstraßen gelegen, hatte Ambon Kontakte mit
muslimischen Händlern aus Arabien, aber auch mit holländischen Missionaren.
Und das erklärt die lange Zeit, in der die Angehörigen beider Religionen
friedlich zusammenlebten, in der Christen und Muslime einander beim Bau von Kirchen
und Moscheen halfen, in der „Pela Gandung" galt, eine Art Nachbarschaftsphilosophie,
die potentielle religiöse Gräben überwinden half. Das funktionierte über Jahrhunderte
hinweg, es funktioniert nicht mehr.
Suharto
tabuisierte religiösen Streit
Unter Suharto,
mehr als dreißig Jahre lang, war religiöser Streit tabu, wurde religiöse
Gewalt hart bestraft, sollte die Einheitsphilosophie Pancasila Differenzen gar
nicht erst aufkommen lassen. Gleichzeitig und finanziell unterstützt von der
Weltbank betrieb Suharto ein „transmigrasi" genanntes Programm: die
Umsiedlung, nicht selten mit sanftem Zwang, von den überfüllten Hauptinseln
Java und Sumatra in „leere" Gegenden wie Timor, Kalimantan, Irian Jaya und
eben die Molukken. Ein paar Millionen meist armer Menschen bekamen so eine
neue Heimat zugewiesen, nicht selten ein schlecht gerodetes Stück
Dschungelland. Die Neuankömmlinge waren Muslime, auf den „entfernten" Inseln
aber war die Bevölkerungsmehrheit christlich, hatte relativ wenig Kontakt mit
moderner Technik, mit Handel und Kommunikation, war deshalb nicht
konkurrenzfähig und wurde marginalisiert von den neuen Siedlern, die rasch
Handel und Verkehr an sich rissen, die besseren sozialen und wirtschaftlichen
Qualifikationen hatten und, wie bei Immigranten üblich, zusammenhielten wie
Pech und Schwefel. Die Regierung tat ein übriges, indem sie traditionell in
Gemeineigentum befindliches Land einfach parzellierte und an die gerade angekommenen
Muslime verteilte. Und indem sie immer mehr Stellen in der Provinzverwaltung
mit Muslimen besetzte, vor zwei Jahren selbst die Posten des Gouverneurs und
seines Stellvertreters in Ambon, die vorher immer Christen innehatten.
Man mag sagen,
daß dies die Normalität sei in einem
mehrheitlich muslimischen Land
mit Bewegungsfreiheit für die Bevölkerung. Die Christen aber sprechen von einer
Islamisierung, sie schauen nach Jakarta, wo ihre Glaubensgenossen schon unter
Suharto ihre einflußreichen Posten in der Administration und in der Armee
verloren haben, wo unter Habibie der „islamische Geschmack" kräftiger
wird. Das ist an der Mehrheit orientierte Politik, für die Christen aber,
weniger als zehn Prozent der Bevölkerung, ist es eine Bedrohung ihrer Kultur.
Der Vorsitzende einer christlichen Studentengruppe auf Ambon macht „Jahre der
Diskriminierung zugunsten der Muslime" für die blutigen Unruhen
verantwortlich und spricht von einer Zeitbombe der alten Regierung (Suharto).
Muslime verdächtigen Christen, einen unabhängigen christlichen Staat zu
planen. Und die Christen sehen sich von agilen muslimischen Zuwanderern zu
einer einflußlosen Minderheit verdrängt. Die Zerstörung von Häusern, Kirchen
und Moscheen ist die einfachste Möglichkeit, die demographischen Proportionen
zu ändern.
Ursache der Gewalt auf Ambon könnten wie anderswo fremde
Provokateure gewesen sein, bezahlt von der Suharto-Clique oder dem Militär mit
dem Ziel, die Regierung Habibie zu diskreditieren und die Unabkömmlichkeit
der Soldaten zu beweisen. Einheimische machen die Attacke eines muslimischen
Mobs auf Christen verantwortlich, die angeblich während des Fastenmonats
Ramadan Alkohol getrunken hatten. Möglicherweise läßt sich auch ein Bogen
schlagen von den Unruhen in Kupang (West-Timor) Ende des vergangenen Jahres,
einer mehrheitlich christlichen Gemeinde, wo Moscheen in Flammen aufgingen
und Muslime die Flucht ergreifen mußten. Darauf kam es zu Racheattacken islamischer
Banden in Jakarta, die in aller Öffentlichkeit und ungehindert durch Polizei
oder Militär fliegende „islamische Gerichte" bildeten und Todesurteile
verkündeten: sechs Christen wurden gefoltert und umgebracht, weitere acht
verbrannt. Die Mehrzahl der Opfer waren Christen aus Ambon, das könnte die
böse, blutrünstige Stimmung in ihrer zweitausend Kilometer entfernten Heimat
erklären, den totalen Vertrauensverlust zwischen den beiden religiösen
Gemeinschaften. Marzuki Darusman, der Vorsitzende der Nationalen Menschenrechtskommission,
befürchtet, „daß Ambon ein nationales Problem werden könnte. Die Regierung muß
schneller arbeiten, wenn sie es auf die Provinz begrenzen will. Die Gefahr der
religiösen Gewalt in ganz Indonesien hängt davon ab, wie die Situation auf den
Molukken gelöst wird." Die große Hoffnung sind die Parlamentswahlen im
Juni, der erste freie und demokratische Urnengang seit 1955, bei dem Mehrheit
und Minderheit ihren Frustrationen Ausdruck geben können. Aber bis dahin vergehen
noch drei spannungsreiche Monate. Und während Abdurrahman Wahid, der moderate
Führer der größten islamischen Gemeinschaft Nahdlatul Ulama (rund 40 Millionen
Anhänger), einen „heiligen Krieg" ins Reich der Phantasie verbannt, kommen
von radikalen Muslimen, immer noch eine kleine Minderheit, schärfere Töne. Eggi
Sudjana, der Chef der Gewerkschaft der Muslimischen Bruderschaft (600 000
Mitglieder), hat mit Krieg in Ambon gedroht, wenn das Militär die Lage nicht
innerhalb von zwei Wochen unter Kontrolle bekommen sollte. Und sein Geistesverwandter
Ahmad Sumargono vom Komitee für Islamische Solidarität (Kisdi) mit rund
fünftausend Mitgliedern hat gewarnt, daß der heilige Krieg, in Ambon erst
einmal ausgebrochen, auch andere Teile des Archipels erfassen könnte.