Frankfurter Rundschau 3.3.1999

Tausende fliehen aus der einstigen „Modellprovinz"

Auf den Molukken werden Fähren und Fischerboote gestürmt / Religiöse Unruhen erschüttern indonesische Inseln

Von Jürgen Dauth (Singapur)

Mehr als 200 Menschen sind bei gewalt­tätigen Auseinandersetzungen zwischen Religionsanhängern auf der Inselgruppe der Molukken seit Januar getötet worden. Einen Antrag, das Kriegsrecht über die Inseln zu verhängen, haben die Streit­kräfte abgelehnt.

Tausende Inselbewohner fliehen von den Molukken. Sie stürmen Fähren und kapern Fischerboote, um mitsamt Haus­rat und Mobiliar in benachbarte Inselpro­vinzen zu gelangen. In Ambon, der Haupt­stadt der Molukken, herrscht Chaos, die Stadt liegt in Trümmern.

Eine Modellprovinz hatte Indonesiens Präsident Bacharuddin Jusuf Habibie die Molukken genannt, bevor die Konflikte zwischen Christen und Moslems sich zu­spitzen. Als die Feindseligkeiten sich in Gewalt entluden, machte man in Jakarta zunächst Agitatoren aus den Reihen der Golkar für die blutigen Zusammenstöße verantwortlich. Die alte Riege aus Suhart-os Zeiten, so hieß es, wolle auf den Moluk­ken Unruhe säen, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Inzwischen gilt diese Erklärung, vom Oberkommandierenden der Streitkräfte, General Wiranto, eilfer­tig verbreitet, nur noch als eine mögliche Sichtweise. Die andere: Die von Habibie gepriesene Harmonie zwischen der Chri­sten und Moslems auf den Molukken war erzwungen. Sie währte, so mutmaßen Beobachter, nur solange, wie die Macht der indonesischen Streitkräfte unange­fochten war. „Dies ist heute nicht mehr der Fall", analysiert der Politologe Mohammad Hikam. „Die Streitkräfte sind in ihrer Rolle verunsichert, das merkt man an der Basis." Keinesfalls will Hikam das alte Rollenverständnis des indonesischen Militärs wiederbeleben, das auf hartes Durchgreifen setzte, wenn es galt, den in­neren Frieden aufrechtzuerhalten. „Doch derzeit", meint er, „sind die Streitkräfte selbst ein Opfer der politischen Umwäl­zung. Ihre ernsthaften Bemühungen, demokratischer zu sein, macht sie nahezu impotent." Als vorige Woche an die Solda­ten der Befehl erging, auf den Molukken auf Plünderer zu schießen, unterliefen sie diesen. Wurde doch einmal geschossen, traf es nur zu oft unschuldige Passanten.

Die Streitkräfte versuchen, die Massen­flucht der Molukkenbewohner in die Nachbarprovinzen zu unterbinden. Sie be­fürchten, daß die Konflikte zwischen religösen Widersachern dort weitergehen könnten. Doch die Truppen — meist junge Soldaten — sind unfähig, dem Exodus Einhalt zu gebieten. Minister des Habibie-Parlaments und die Abgeordnete der Provinz, haben den Präsidenten aufgefor­dert, das Kriegsrecht über die Molukken zu verhängen. Doch dies lehnte der Ober­kommandierende der Streitkräfte, Gene­ral Wiranto, ab. Er fürchtet, daß die Armee ihr Image als „Streitkraft des Vol­kes", um das sie sich so müht, verspielen könnte — und damit die Militärs auch ih­ren Anspruch auf eine politische Rolle im neuen Parlament.

Wiranto hat sich zu einem Kompromiß durchgerungen. Er hat eine 1400 Mann starke Spezialeinheit gebildet, die nun zu­erst auf den Molukken eingesetzt werden soll. Erweist sich dieser Schritt als un­wirksam, bleibt die Möglichkeit, den Not­stand auszurufen, was weniger drastisch wäre als das Kriegsrecht mit Einschrän­kungen aller persönlicher Freiheiten.

Außer Rand und Band präsentierte sich eine neuen indonesische Spezialtruppe gegen Kriminalität bei einem Fest in Jakarta        (Bild: Charles Dharapak/ap)