01. März 1999
Resumee
Die schweren Unruhen auf Borneo und der Molukken-Insel Ambon im ersten
Quartal 1999 wurden nach Auffassung der Gesellschaft für bedrohte
Völker (GfbV) durch die indonesische Umsiedlungspolitik provoziert.
Systematisch ändert Djakarta seit Jahrzehnten die Bevölkerungsstruktur
in den Randgebieten seines Herrschaftsbereiches. So wurden im Rahmen
des Transmigrationsprogrammes mehr als acht Millionen Menschen von
dichter bevölkerten Inseln auf die Molukken, nach Westpapua,
Kalimantan (Borneo) und Osttimor umgesiedelt. In allen
Umsiedlungsgebieten gibt es Spannungen zwischen den Neusiedlern und
der ortsansässigen Bevölkerung.
Die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf Kalimantan und Ambon könnten
sich jederzeit in Westpapua oder Osttimor wiederholen. Das
Umsiedlungsprogramm wird von der Urbevölkerung Indonesiens mit
Landraub, Entrechtung und der Zerstörung ihres traditionellen
Lebensraumes sowie ihrer Identität gleichgesetzt. Die Unruhen auf den
Molukken sind kein Glaubenskrieg, da jahrzehntelang christliche und
muslimische Molukker friedlich zusammenlebten. Mit der gezielten
Ansiedlung von Zehntausenden muslimischen Siedlern aus Sulawesi,
Sumatra und Java wurde dieses Gleichgewicht bewußt gestört, so daß
christliche Molukker in den letzten Jahren immer mehr ihre
Benachteiligung beklagten. Die Wirtschaftskrise in Indonesien hat mit
dazu beigetragen, daß die seit längerem bestehenden Spannungen nun
offen ausgebrochen sind.
Pogrome auf Borneo
Ende März 1999 erregten blutige Konflikte zwischen Dayak und
eingewanderten Maduresen auf der Insel Borneo (Provinz Westkalimantan)
weltweit Aufsehen. Die etwa vier Millionen Dayak sind die Ureinwohner
Borneos und leben in den vier indonesischen Provinzen (West-, Süd-,
Ost-, Zentralkalimantan) sowie in Brunei und den malaysischen
Territorien Sarawak und Sabah. Ungeachtet der mehr als 400
Sprachgruppen ähneln sich die Kultur, die Bräuche und die Lebensweise
vieler dieser indigener Völker. Rund 200 Menschen wurden seit Ausbruch
des Konfliktes bereits getötet, Tausende Häuser wurden niedergebrannt.
Mindestens 15.000 Maduresen aus dem Bezirk Sambas flohen in die 145
Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Pontianak. Bereits im Februar
1999 war es zu Kämpfen zwischen Maduresen sowie Dayak und Malaien
gekommrn, bei denen 19 Menschen getötet wurden. Die Bewohner der vor
der Nordküste Javas gelegenen Insel Madura waren seit den 60er Jahren
im Rahmen des Transmigrationsprogrammes auf Borneo angesiedelt worden.
Noch machen die Neusiedler nur acht Prozent der Bevölkerung aus,
während Dayak und Malaien jeweils rund 40 Prozent und die chinesische
Minderheit 12 Prozent stellen. Die meisten Malaien und auch die
Maduresen sind muslimischen Glaubens. Dem Konflikt liegen somit keine
religiösen Ursachen zugrunde. Schon im Dezember 1996 waren bei
bürgerkriegsähnlichen Unruhen zwischen Maduresen und Dayak mindestens
300 Menschen getötet und mehr als 1.000 Häuser zerstört worden.
Bürgerkrieg auf den Molukken
Seit Januar 1999 liefern sich Christen und Muslime auch auf der
Molukken-Insel Ambon schwere Auseinandersetzungen. Nach offiziellen
Angaben starben bislang mindestens 200 Menschen. Berichte von
Flüchtlingen lassen jedoch auf merh als 2.000 Todesopfer schließen.
Während Christen muslimische Mitbürger überfallen, rufen Muslime zum
Jihad, dem Heiligen Krieg, auf und rekrutieren fanatische
Glaubenskämpfer. 40.000 Menschen sind vor dem Gemetzel auf
Nachbarinseln geflohen. Dennoch sind die Unruhen kein Glaubenskrieg,
denn beide Konfessionsgruppen lebten jahrzehntelang friedlich
miteinander. Nach Auffassung der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV)
konnte die Eskalation der Gewalt nur deshalb so erschreckende Ausmaße
annehmen, weil sich christliche Molukker aufgrund der staatlich
geförderten Einwanderung muslimischer Indonesier benachteiligt fühlen.
Tatsächlich haben sich so viele Muslime von dichter besiedelten Inseln
auf den Molukken niedergelassen, daß sich dort heute Christen und
Muslime als gleich große Bevölkerungsgruppen gegenüberstehen. Molukker
beklagen seit Jahren ihre Benachteiligung im öffentlichen Leben und
fordern mehr Autonomie für ihre Inseln.
Transmigrationsprogramm soll indonesische Vorherrschaft sichern
Mit der Umsiedlung landloser Bauern aus dichter besiedelten Gebieten
in die Randregionen des indonesischen Herrschaftsbereiches verändert
die indonesische Regierung seit Jahrzehnten systematisch und gewaltsam
die Bevölkerungsstruktur. Die auf den verschiedenen Inseln
ursprünglich dominierenden Volksgruppen werden zur Minderheit im
eigenen Land gemacht. Entwurzelung und Verlust der Identität sind die
Folge. So kann nicht verwundern, daß die ortsansässige Bevölkerung
Ressentiments gegenüber den Neusiedlern hat. Diese Vorbehalte sind in
Regionen, die wie in Westpapua zwischen der Armee und
Freiheitsbewegungen umkämpft sind, besonders groß. Denn mit ihrer
Trangsmigrationspolitik will die Regierung den Widerstand der
Ureinwohner zerschlagen. So wurde in dem bis 1997 gültigen
Transmigrationsgesetz auch die "Stärkung der nationalen Sicherheit"
als Ziel genannt. Drei Formen der Umsiedlung sind in dem neuen
Transmigrationsgesetz definiert, das 1997 in Kraft trat:
Die staatlich geförderte Umsiedlung, die von der Regierung betrieben
wird, die teils "spontane", teils vom Staat unterstützte
Transmigration, bei der die Regierung mit Wirtschaftsunternehmen
zusammenarbeitet, die "spontane" Umsiedlung, bei der verarmte
Indonesier in Eigeninitiative in andere Regionen des Landes
auswandern. Seit 1969 siedelten nach offiziellen Angaben 1.652.683
Familien um, 785.556 von ihnen durch staatliche Programme und 867.127
aus eigener Initiative (Transmigration in Indonesia, eine Publikation
des Ministry of Transmigration and Forest Squatter Resettlement,
Jakarta 1998). Indonesische Familien haben im Durchschnitt fünf
Angehörige. Demnach wurden mehr als acht Millionen Menschen im Rahmen
des Transmigrationsprogrammes in 2.445 Siedlungen verbracht. Zwischen
1999 und 2004 sollen gemäß dem neuen Fünf-Jahres-Plan weitere 450.000
Familien umgesiedelt werden.
Neusiedler zerstören Lebensgrundlage der Ureinwohner
Das Umsiedlungsprogramm wird von der Urbevölkerung Indonesiens mit
Landraub und Entrechtung, mit der Zerstörung ihres traditionellen
Lebensraumes und ihrer Identität gleichgesetzt. Allein zwischen 1969
und 1993 wurden 1,7 Millionen Hektar Land für Umsiedler zur Verfügung
gestellt. Der größte Teil davon war angestammtes Siedlungsgebiet der
Ureinwohner, denen es meist ohne Entschädigung genommen wurde. Für die
Ansiedlung indonesischer Zuwanderer werden auf Kalimantan und in
Westpapua gigantische Regenwaldgebiete gerodet. Die Transmigranten
werden vor allem in der Nähe neuer Reis- und Ölpalmen-Plantagen
angesiedelt, deren Produktion für den Export bestimmt ist. Die seit
Generationen ansässige Urbevölkerung soll ihre traditionellen, der
Natur angepaßten, Bewirtschaftungsmethoden aufgeben und Anbautechniken
aus Java übernehmen. Diese sind den lokalen Bodenverhältnissen jedoch
oft nicht angepaßt. Dann scheitern solche Projekte kläglich und
Ureinwohner wie Zuwanderer leiden gleichermaßen. Neben diesen
weitreichenden wirtschaftlichen und ökologischen Konsequenzen hat die
staatlich geförderte Umsiedlung den Niedergang der traditionellen
Gesellschaft und Kultur der Urbevölkerung zur Folge.
Die Ureinwohner stellen heute nur noch einen relativ geringen Anteil
an der Gesamtbevölkerung Indonesiens. Mehr als 90 Prozent der 204
Millionen Einwohner sind Malaien. Neben Melanesiern, wie den Papua und
Molukkern, bilden die kleinwüchsigen Negritos sowie die Proto-Malaien,
zu denen auch die Dayak gezählt werden, größere Gruppen der
Urbevölkerung. Vertreter der 200 indigenen Völker forderten auf einer
Konferenz Mitte März 1999 in Djakarta nicht nur die Aufhebung
diskriminierender Gesetze, die ihre traditionellen
Gesellschaftsstrukturen und Kultur mißachten, sondern auch die
Respektierung ihrer Landrechte.
Transmigration auf der Insel Timor
Gezielt unterstützte Djakarta seit 1982 im indonesisch besetzten
Osttimor die Ansiedlung von Indonesiern. Mehr als 180.000 indonesische
Einwanderer ließen sich in der ehemaligen portugiesischen Kolonie
nieder, so daß 20 Prozent der Bevölkerung inzwischen Immigranten sind.
Mit der gezielten Förderung der Einwanderung wollte die indonesische
Regierung die Unabhängigkeitsbestrebungen der Osttimoresen nachhaltig
bekämpfen. Insbesondere sollte sichergestellt werden, daß sich bei
einer Volksabstimmung eine Mehrheit für ein Verbleiben bei Indonesien
entscheidet. Auch im Westteil der Insel Timor kam es im vergangenen
Jahr zu Übergriffen. Nachdem am 30. November 1998 junge melanesische
Christen in Kupang Geschäfte und Häuser indonesischer Umsiedler
angegriffen hatten, brannten Muslime als Antwort darauf am 5. Dezember
1998 auf der Insel Sulawesi eine christliche Kirche in Ujung Pandang
nieder.
Neusiedler sind in Westpapua unbeliebt
Auch in Westpapua (offizieller Name Irian Jaya) nehmen die Spannungen
zwischen der Papua-Urbevölkerung und Umsiedlern ständig zu. So
entführte am 16. März 1999 die Papua-Freiheitsbewegung OPM 109 aus dem
Westen Indonesiens eingewanderte Bauern aus dem Bupul Umsiedler-Dorf
nahe der Stadt Merauke. Die indonesische Regierung will mit ihrem
Transmigrationsprogramm auch ihren Zugriff auf rohstoffreiche Regionen
verstärken. So soll die systematische "Besiedlung" Westpapuas nicht
nur helfen, die Papua-Freiheitsbewegung OPM zu zerschlagen, sondern
auch die Ausbeutung der reichen Kupfer-, Gold- und Uranvorkommen sowie
der Regenwälder sichern helfen. Seit 1979 kamen mehr als 400.000
Siedler von Java, Sumatra und anderen Inseln nach Westpapua. Im Rahmen
des Transmigrationsprogrammes wird auch die lokale Urbevölkerung in
neuen Siedlungszentren konzentriert. In den kommenden Jahren will
Djakarta Umsiedlungen nach Westpapua forcieren, da Arbeitskräfte für
neue Ölpalmen-Plantagen sowie für ein gigantisches
Industrieansiedlungsprojekt benötigt werden. Nach dem Willen von
Staatspräsident Bacharuddin Jusuf Habibie soll in bislang noch
weitgehend unberührten Regenwaldgebieten entlang des Mamberamo-Flusses
einer der größten Industriekomplexe Südostasiens entstehen.
In Westpapua regt sich immer mehr Widerstand gegen die
Industrialisierung, die Transmigration und die indonesische
Herrschaft. Die am Mamberamo-Fluß lebenden Papua bildeten 1998 einen
Stammesrat, der das gigantische Industrieprojekt eindeutig ablehnt.
Auch mit der geplanten Erweiterung der riesigen Grasberg-Mine, in der
der Bergbaukonzern Freeport Kupfer und Gold abbaut, sind viele
Ureinwohner nicht einverstanden. Wenige Tage nachdem Habibie der
Ausweitung des Tagebaus zugestimmt hatte, kritisierten Vertreter der
Papua in einem Gespräch mit dem Staatschef diese Politik. Darüber
hinaus forderten 100 im Rahmen des "Nationalen Dialogs" nach Djakarta
gereisten Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen, Kirchen,
Frauengruppen und Stammesorganisationen die Unabhängigkeit Westpapuas.
Militär an Eskalation der Gewalt interessiert
Teile der indonesischen Armee haben größtes Interesse an einer
Eskalation der Gewalt. Sie wollen die in Indonesien begonnene
Demokratisierung stören und die für Juni 1999 geplanten
Parlamentswahlen verhindern. Augenzeugen berichten immer wieder, daß
die Armee den Ausschreitungen auf den Molukken tatenlos zuschaut und
erst nach Stunden reagiert. Kirchenvertreter warfen dem Militär
Brutalität vor, nachdem Soldaten am 14. Februar 1999 auf der Insel
Haruku ohne Vorwanung molukkische Flüchtlinge beschossen und dabei
fünf Menschen getötet hatten (AFP, 16. Februar 1999). Die "brutalen
und provokativen Aktionen des Mili-tärs" würden nicht zur Aussöhnung
und zum Wiederaufbau beitragen, kritisierte das Krisenzentrum der
Kirche. Auch der ehemalige Staatspräsident Suharto, der noch immer
größten Einfluß auf die Politik der indonesischen Regierung hat, ist
an einer Destabilisierung des Landes interessiert, um seine
Strafverfolgung sowie eine weitere Demokratisierung zu verhindern.
Empfehlungen der GfbV
Schon zu Beginn der 80er Jahre protestierte die GfbV gegen das
Transmigrationsprogramm. Wir trugen dazu bei, daß sich die
Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) und die Weltbank aus
Transmigrationsprojekten zurückzogen. Doch die indonesische Regierung
will das Programm fortsetzen. Als einem der wichtigsten Investoren in
Indonesien dürfen Deutschland die bürgerkriegsähnlichen Zustände auf
Kalimantan und den Molukken sowie die explosive Lage in Westpapua
nicht gleichgültig sein.
Die GfbV appelliert an Außenminister Joschka Fischer, gegenüber dem
indonesischen Außenminister während des ASEM-Gipfels in Berlin die
tiefe Besorgnis Europas über die anhaltenden Unruhen auszudrücken.
Bitte fordern Sie die indonesische Regierung auf, sofort wirksame
Maßnahmen zu ergreifen, um die Ausschreitungen zu stoppen und die
begonnene Demokratisierung Indonesiens fortzuführen.
Angesichts der latenten Spannungen in zahlreichen Regionen sollten die
Außenminister der Europäischen Union an die indonesische Regierung
appellieren, das umstrittene Transmigrationsprogramm unverzüglich zu
stoppen.
Eine umfassendere Autonomie-Regelung für die Südmolukken würde
erheblich zu einer Beruhigung der Lage auf Ambon beitragen.
In den letzten 30 Jahren wurden die Rechte der Urbevölkerung von
Djakarta systematisch ignoriert. Weitere gewaltsame Proteste der rund
200 indigenen Völker können nur verhindert werden, wenn die
Ureinwohner nicht länger im Namen der "nationalen Entwicklung"
marginalisiert werden. Insbesondere sollten diskriminierende Gesetze
abgeschafft und die Landrechte der Urbevölkerung respektiert werden.
Um das Flüchtlingselend wirksam zu bekämpfen sollten die indonesischen
Behörden humanitären Organisationen freien Zugang zu den
Krisengebieten und den Flüchtlingslagern gestatten sowie den
Wiederaufbau nach allen Kräften unterstützen.
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