Die Welt 22.6.2000

Neue Massaker auf den Molukken

Religiöse Konflikte in Indonesien werfen Schatten auf Wahids Präsidentschaft - Zweifelhafte Rolle der Armee

Von Daniel Kestenholz

Bangkok - Bei einem Massaker von Moslems an Christen auf der indonesischen Molukkeninsel Halmahera starben am Montag rund 160 Menschen, über 200 wurden verletzt. Die Moslems hatten ein Dorf vor Morgengrauen gestürmt. Viele Opfer starben im Schlaf, andere durch Nagelbomben und Macheten. Einige Quellen sprachen von gekidnappten Frauen und Kindern, andere von einer angezündeten Kirche, in der Menschen verbrannten.

Einige der Angreifer trugen Kampfanzüge moslemischer Paramilitärs, etwa der Laskar Dschihad, der Streitfront des Heiligen Krieges, die rund 3000 Moslemkämpfer auf den Molukken geschifft haben soll nach Aufrufen in Jakarta, Indonesiens Christen mit einem Dschihad auszulöschen. Bei dem Massaker am Montag war auch von automatischen Gewehren die Rede, was auf eine Rolle der Armee schließen ließe, zumal die Marine eine Seeblockade um die Molukken errichtet hat, um Waffenlieferungen zu verhindern.

Der Molukkenkonflikt dürfe laut Regierungskreisen nicht die Erfolge von Präsident Abdurrahman Wahid vergessen lassen. Wahid entpolitisierte eine Armee, die unter Altpräsident Suharto die Wirtschaft und Politik nach Belieben dirigierte und Straffreiheit genoss, trotz krasser Menschenrechtsvergehen. Wahid entfernte Generäle aus seinem Kabinett, gab dem Generalstaatsanwalt großzügige Befugnisse, und mit einer historischen Waffenruhe konnte der Präsident das Blutvergießen in der moslemischen Rebellenprovinz Aceh eindämmen.

Doch die alte Clique um Suharto wehrt sich standhaft gegen Verurteilungen, und die Wirtschaft liegt am Boden. Indonesiens Verschuldung bleibt gigantisch, und der Korruptionsfilz greift bis in den Ministerrat, was bereits mehrere Rücktritte und Entlassungen von Ministern zur Folge hatte.

Frühere Anhänger von Wahid - von Studenten bis zu Abgeordneten - fordern unterdessen ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten mit medizinischen Untersuchungen, die den durch Schlaganfälle geschwächten Wahid amtsunfähig erklären sollen. Der verurteilt diese Vorstöße als gezielte Unruhestiftung der alten Garde, die um ihre Pfründe fürchte.

Warum die Christen und Moslems die Dörfer und Gotteshäuser ihrer einstigen Nachbarn niederbrennen, weiß niemand genau. An der Oberfläche schwelt religiöser Hass. Darunter herrschen Stammesfehden, Landesstreitigkeiten und die Vernachlässigung durch die Zentralregierung. Der Konflikt reicht in die Kolonialära zurück, als die Holländer die Christen gegenüber den Moslems begünstigten. Die Massenzuwanderung von Moslems unter Altpräsident Suharto höhlte die Privilegien der Christen aus. Suharto unterdrückte die ethnischen Spannungen mit Gewalt. Erst die wachsende Toleranz unter Interimspräsident Habibie und dem Humanisten Wahid öffnete das Ventil eines über Generationen angestauten Konfliktes. Laut dem indonesischen Politologen Jusuf Wanandi seien Indonesiens unzufriedene Gruppen einzig mittels Wirtschaftsreformen und Wohlfahrt zu zähmen. Doch Wahid, der nach Aussagen seines inneren Kreises wenig von Wirtschaftsfragen verstehe, sind die Hände gebunden. Er hat mit einem zerstrittenen Ministerrat zu arbeiten, der durch komplizierteste Kuhhändel gebildet worden war, um Wahid die Präsidentschaft zu sichern.

Der indonesische Schriftsteller und Nobelpreisanwärter Pramoedya Ananta Toer, der Jahre als politischer Häftling verbüßte, sieht eine düstere Zukunft für Indonesien, wenn es dem Land nicht gelingt, seine dunkle Geschichte aufzuarbeiten und Suharto, die korrupten Politiker und kriminelle Generäle zu verurteilen. "Versöhnung? Nichts hat sich geändert", sagt Pramoedya. Die Demokratieschübe seien "alles nur heiße Luft."

Artikel erschienen am 22.06.2000