Die Welt 8.1.2000

Zehntausende Moslems rufen zum Heiligen Krieg auf

Auf den Molukken verschärfen sich Konflikte zwischen Moslems und Christen - Massenkundgebung in Jakarta

Von Daniel Kestenholz

Bangkok - Mehr als 50 000 Moslems, nach verschiedenen Angaben bis zu 300 000, haben gestern in Jakarta zu einem heiligen Krieg gegen die christliche Bevölkerung der Molukken aufgerufen. Auf den ehemaligen Gewürzinseln, die unter dem alten Präsidenten Suharto als Symbol religiöser Harmonie galten, wurden seit Januar 1999 1500 Menschen getötet. Die Gewalttätigkeiten breiteten sich inzwischen von der Hauptinsel Ambon auf mindestens fünf weitere Inseln der Archipelprovinz aus. Über 100 Gotteshäuser wurden beschädigt oder verbrannt.

Moslems schlachteten am Freitag in Jakarta eine Ziege und beschmierten ein Holzkreuz mit dem Blut des Opfertiers. Einige schrien "Jihad", heiliger Krieg, und "Allahu Akbar" - Gott ist groß. Das Freitagsgebet wuchs zur ersten Massenkundgebung gegen Indonesiens Reformregierung an. "Wir geben der Regierung eine Woche, das Abschlachten von Moslems zu beenden", sagte ein Redner. "Sonst schicken wir 10 000 Menschen, um Ambons Moslems zu verteidigen." Freiwillige wurden aufgefordert, sich für den Kriegsdienst einzuschreiben.

Moslemführer Amien Rais, der Abdurrahman Wahid die Präsidentschaft gesichert hatte, sprach von einer "christlichen Verschwörung gegen Indonesiens Moslems".

Ein anderer Moslemführer, Hamzah Haz, der im Dezember überraschend aus Wahids Kabinett zurücktrat, forderte die Verhängung des Militärrechts über den Molukken. Haz ermahnte alle Parteien, Präsident Wahid fallen zu lassen, sollte er den Konflikt nicht entschärfen. Beobachter fürchten andernfalls einen Flächenbrand ethnischer und religiöser Unruhen.

Die moslemische Menschenmenge forderte außerdem den Rücktritt von Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri. Wahid hatte Megawati persönlich mit der Lösung des Molukkenkonflikts beauftragt. Seit ihrer Amtseinsetzung schweigt Megawati jedoch beharrlich. Als auf dem Archipel zum Jahreswechsel rund 500 Menschen starben, reiste sie zum Familienurlaub nach Hongkong. In den Wochen zuvor war sie einzig in Erscheinung getreten, um Wahid bei seinen Auslandsreisen am Flughafen zu verabschiedeten oder zu begrüßen.

"Megawati - dein Schweigen ist Gift für Ambon", stand gestern auf einem Protestbanner. Ein Redner bezeichnete Megawatis Trauer über die Opfer als "Krokodilstränen", die "nicht mit dem Blut von Moslems zu vergleichen" seien. Als säkulare Muslimin ist Megawati populär unter Indonesiens Christen, die in der bevölkerungsreichsten Moslemnation der Welt zu Krisenzeiten immer wieder als Sündenböcke herhalten müssen.

Nach zwei Monaten wächst in Indonesien der Unmut gegen die Reformregierung, die sich bislang als "konzeptlos" erwiesen habe. Die "Jakarta Post" nannte Wahids Regierungsstil "verwirrend": "Tragischerweise", so die Post, "hat Wahid überhaupt kein Gespür für Krisen und Prioritäten". Wahid und Megawati waren anfangs Dezember mit Versöhnungsappellen nach Ambon gereist. Kurz nach ihrer Abreise brachen jedoch neue Bandenkämpfe aus.

Mit den Eid-al-Fitr-Feiern begeht Indonesien an diesem Samstag zudem das Ende des Fastenmonats Ramadan. Gewöhnlich herrscht während der Fastenwochen eine langsamere Gangart; nach dieser Zeit verschärfen sich erfahrungsgemäß bestehende Konflikte.

Auf den Gewürzinseln hatten Separatisten in den 70er Jahren für eine "Republik der Südmolukken" gekämpft. Auf Dauer schienen sich die einheimischen Christen, 44 Prozent der Bevölkerung, jedoch mit der moslemischen Zentralmacht abzufinden. Die Wurzel des Molukkenkonfliktes liegt allerdings nicht in den Unabhängigkeitsforderungen, sondern in dem Siedlungsprogramm "transmigrasi" von Altpräsident Suharto. Die holländischen Kolonialherren hatten das Christentum gebracht; Gewürznelken und Muskatnuss schufen Reichtum. Unter Suharto wurden Moslems von den übervölkerten Hauptinseln in entlegene Provinzen umgesiedelt. Die christlichen Molukker besaßen das Land und die bessere Schulbildung. Die muslimischen Zuwanderer waren jedoch die geschickteren Kaufleute, die den Handel und die Verwaltung übernahmen.

Der Neid wuchs, und im November 1998 - ein halbes Jahr nach Suhartos Fall - griffen Moslems erstmals ambonesische Christen an. Einem jungen Katholiken wurden in Jakarta bei lebendigem Leib auf offener Straße die Knochen aus dem Fleisch gelöst - mit Bambussplittern und einem Küchenmesser. Zwei Monate später brachen Kämpfe auf den Molukken aus. Anfangs dienten den Feindesparteien Dolche, Pfeil und Bogen sowie selbstgebastelte Pistolen als Waffen. Neuerdings schießen Scharfschützen von den Dächern.

Artikel erschienen am 08.01.2000