Auszug aus:

Roland Dusik: Indonesien (DuMont 'Richtig reisen'), Köln 1991, S.428-431


Exkurs: Die Batak

Zahlenmäßig wie auch kulturell sind die Batak die führende altmalaiische Volksgruppe Indonesiens. Die rund 1,5 Mill. im Bergland rings um den Toba-See lebenden Batak gliedern sich nach Sprache und Kultur in zwei Hauptgruppen: Der südlichen Gruppe werden die Toba-, Angkola- und Mandailing-Batak zugeordnet, während man die Dairi-, Pakpak- und Karo-Batak als Nordgruppe zusammenfaßt. Die Timur- oder Simalungun-Batak, die im Osten des Toba-Sees im nahen Umkreis von Pematang Siantar siedeln, nehmen eine Zwischenstellung ein. Die bedeutendsten Batak-Stämme sind die Toba (ca. 900000 Menschen), die südlich des gleichnamigen Sees und auf der im See liegenden Insel Samosir leben, und die Karo (ca. 400000 Menschen), deren Siedlungsraum sich um die Städte Brastagi und Kabanjahe ausbreitet. Während die Toba, Karo, Simalungun und die anderen nördlichen Batak-Gruppen weitgehend christianisiert sind, bekennen sich die im Südwesten der Provinz Nordsumatra lebenden Angkola- und Mandailing-Batak fast ausschließlich zum Islam.

Die Vorfahren der Batak kamen während mehrerer protomalaiischer Einwanderungsintervalle zwischen 2500 und 1500 v.u.Z. vom asiatischen Festland. Obwohl die Batak noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts ständig sehr isoliert von anderen malaiischen Völkern lebten, zeigen sich in ihrer Kultur Spuren indischen Einflusses (u. a. Naßreisbau, Pflügen mit Wasserbüffeln, Übernahme vieler Namen und Bezeichnungen aus dem Sanskrit, Glaubensvorstellungen hinduistischer Herkunft). Eine systematische christliche Missionsarbeit setzte im Batak-Land erst gegen 1860 ein; bis zu diesem Zeitpunkt war es den holländischen Kolonialherren nicht gelungen, die widerspenstigen Batak unter ihre Oberherrschaft zu zwingen. Trotz christlicher Missionierung haben die Batak neben den Toraja (Sulawesi) und den Dayak (Borneo) die ursprüngliche altmalaiische Kultur am unverfälschtesten bewahrt. Völkerkundlich am besten erforscht sind die Toba-Batak, von denen sich möglicherweise die anderen Stämme abgespalten haben.

Ähnlich wie bei anderen protomalaiischen Völkerschaften des indonesischen Archipels war die traditionelle Batak-Gesellschaft feudalistisch strukturiert. Früher unterschied man drei klar voneinander getrennte soziale Schichten: die Adeligen, die Freien und die Sklaven. Als höchste weltliche und geistliche Autorität stand bis zum Jahre 1907 (in dem sich die Niederländer nach erbitterten Kämpfen endlich im Batak-Land festsetzen konnten) eine Art Priesterkönig über allen Batak-Stämmen. Die Sklaverei wurde erst gegen 1915 abgeschafft.

Im Gegensatz zu den Minangkabau sind die Batak vaterrechtlich organisiert; ihre Genealogie ist streng patrilinear, d. h., sie kennt nur die väterliche Linie als Band der einander folgenden Generationen. Die verschiedenen Batak-Stämme sind in Klans unterteilt, die Marga heißen. Jede Marga, als Verwandtschaftsverband die grundlegende soziale Einheit, führt ihren Ursprung auf einen gemeinsamen (mythischen) Ahnherren zurück. Der Stammvater aller Batak, Si Radja Batak, ist ebenfalls im Mythischen angesiedelt. Ein wichtiger Aspekt der Marga besteht in ihrer Exogamie, d. h. im Verbot der Heirat zwischen Mitgliedern desselben Klans. Bei den Batak heiratet die Frau, für die ein Brautpreis entrichtet werden muß, in die Familie des Mannes; sie verläßt ihre eigene Sippe und wird mit der Heirat Mitglied der Marga ihres Gatten. In früheren Zeiten galt die Frau als Besitz des Ehemannes und mußte selbst dann in dessen Familie verbleiben, wenn sie Witwe geworden war; nur durch Rückerstattung des Brautpreises konnte sie in den eigenen Verband zurückkehren. Eine strikte exogame Heiratsordnung läßt sich heute bei Klans mit oftmals mehreren tausend Angehörigen natürlich nicht mehr durchführen. Die Bedeutung der Marga, die jedem ihrer Mitglieder Schutz und Geborgenheit bietet, ist aber auch in der Gegenwart ungebrochen. Nicht wenige Batak leben weit entfernt von ihrer Heimat, doch auch wer abgewandert ist, hält an Bindungen zur Familie und zum Sippenverband fest.

Die protestantische (in geringerem Ausmaß die katholische) Missionierung konnte im Batak-Land so große Erfolge verzeichnen wie sonst nirgends im indonesischen Archipel. Doch obwohl die Batak heute die größte geschlossene Gruppe von Christen in Indonesien bilden und die protestantische Batak-Kirche (Huria Kristen Batak Protestan) als die vitalste des ganzen Landes gilt, hat die Überprägung mit der christlichen Hochreligion die uralten Glaubensvorstellungen nicht zu verdrängen vermocht, im Gegenteil - hinter der christlichen Fassade wird den traditionellen Glaubensinhalten zum Teil sogar eine größere Bedeutung beigemessen als den importierten religiösen Botschaften. Überhaupt führte die Christianisierung der Batak nicht zur Zerstörung ihrer hochentwickelten, eigenständigen Kultur, wie dies in anderen Missionsgebieten, z. B. in Minahasa auf Nordsulawesi, geschehen ist.

Nach ihrer mythischen Lehre von der Entstehung der Welt stellten sich die vorchristlichen Toba-Batak den Kosmos dreigeteilt vor: In der Oberwelt leben die Götter, in der unteren Welt die Toten, die Geister und die Dämonen; die mittlere Sphäre ist den Menschen vorbehalten. Diese Auffassung kommt auch in der altüberlieferten Farbensymbolik der Batak zum Ausdruck, wonach Weiß der oberen, Rot der mittleren und Schwarz der unteren Welt entspricht. Im Mittelpunkt der alten animistischen Religion steht der Glaube an seelische Mächte. Hierbei sind Tondi (>Lebensseele<) und Begu (>Totenseele<) zwei Begriffe von zentraler Bedeutung. Tondi ist die Seelensubstanz, die alles Leben, nicht nur menschliches, sondern auch tierisches und pflanzliches, durchdringt und ihm Energie verleiht; mehr noch, die Tondi kann auch leblose Materie mit Kraft erfüllen. Stirbt der Mensch, dann verwandelt sich seine Tondi in eine Begu, in die Seele des Toten, der nun in einer neuen Existenzform sein irdisches Leben weiterführt. Nach der Vorstellung der Batak werden nicht nur der Tod, sondern auch Krankheit und Schlaf durch die (zeitweilige) Loslösung der Lebensseele vom Körper bewirkt. Auf dem Glauben, daß die Tondi teilbar und auf andere übertragbar sei, beruhte auch die von den Batak noch in nicht allzu ferner Vergangenheit praktizierte, mit rituellem Kannibalismus verbundene Kopfjägerei. Bei den Stammeskriegen und der Kopfjagd ging es selten um materiellen Gewinn. Triebfeder dieser blutigen »Hackordnung« war die Auffassung, daß durch das Erbeuten der Köpfe feindlicher Krieger sowie den Verzehr ihrer Körper die Kräfte, Fähigkeiten und Seelenenergien der Getöteten auf die Sieger übergingen.

Da die Geister der Ahnen die Geschicke der lebenden Verwandten weitgehend beeinflussen können, muß deren Beistand immer wieder mit Opfern und Riten erbeten werden. Eine sehr bedeutende Rolle spielten bei den Batak vor ihrer Christianisierung die Schamanen und Priester, zu deren wichtigsten Aufgaben es zählte, den Kontakt zu den Seelen der Verstorbenen zu pflegen. Kaum ein anderer protomalaiischer Stamm hat über so verwickelte Formen der Zauberei, so ausgeklügelte Praktiken der Magie verfügt wie die Batak. Zu den unentbehrlichen Zeremonialgeräten der Zauberpriester bei magischen Handlungen wie Krankheitsbeschwörungen und Fruchtbarkeitsriten gehörten einst die herrlich geschnitzten, figurengeschmückten Zauberstäbe (Tunggal Panaluan). Diese mußten, bevor sie ihre magischen Kräfte entfalten konnten, ebenso wie die heiligen Ahnenbildnisse mit einer geheimnisvollen Substanz (Pupuk), die man aus dem Gehirn und anderen Körperteilen eines getöteten Sklaven im Kindesalter herstellte, künstlich beseelt werden. Von ähnlich großer Bedeutung wie der Zauberstab waren für die Batak-Priester das Zauber- und Orakelbuch (Pustaka) sowie der magische Kalender (Porhalaan), die ihnen halfen, die komplizierten astrologischen Zusammenhänge zu deuten und die richtigen Tage für wichtige Zeremonien festzulegen.

In einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft kommt der Geburt eines männlichen Nachfahren eine besondere Bedeutung zu, nicht nur für das irdische Leben, sondern auch für das Leben nach dem Tode. Ohne die Gebete seines Sohnes kann die Totenseele eines verstorbenen Batak im Jenseits nicht zur Ruhe kommen. Stirbt ein Mann ohne Sohn, so tritt an dessen Stelle eine lebensgroße, bewegliche Holzpuppe (Si Gale Gale), die nun als »Fürsprecher- für den Verstorbenen fungiert.

Der Animismus der Batak war bis in die jüngste Vergangenheit mit einer megalithischen Kultur gepaart. Zeugnisse megalithischer Steinsetzung finden sich im Batak-Land in der näheren Umgebung des Toba-Sees und vor allem auf der Insel Samosir. Dort sind noch einige Dörfer von Mauern aus zyklopischen Steinen umgeben, und auf manchen Dorfplätzen stehen steinerne Stühle und Tische zum würdigen Empfang der Ahnen bei wichtigen Zusammenkünften. Häufig stößt man auch auf kunstvoll behauene, bootsförmige Steinsarkophage, in denen die Schädel verstorbener Stammesfürsten beigesetzt wurden. Auch die oftmals riesigen Ahnendenkmale der Gegenwart erinnern an den altbatakschen megalithischen Monumentalstil der Vergangenheit. Diese Monumentalgräber (Tugu) sind ein weithin sichtbares Zeichen dafür, daß der Ahnenkult trotz christlicher Einflüsse weiterlebt. Gleichzeitig sind diese bombastischen Zement- und Fliesenmonumente, die in einem schreienden Kontrast zu den oftmals armseligen Behausungen der Lebenden stehen, ein Symbol für den Sozialstatus der Sippe sowie eine Demonstration des Zusammenhalts der Lebenden und der Toten.

Auf die Zeiten der blutigen Stammeskriege geht die festungsartige Anlage der traditionellen Batak-Dörfer, vor allem die der Toba-Batak, zurück. In der Regel sind diese Wehrdörfer von Erdwällen oder Steinmauern umgeben; Zutritt gewähren nur schmale Eingangspforten. In der Anordnung der Häuser wird ein Unterschied zwischen der nördlichen und der südlichen Batak-Gruppe deutlich. Während die Siedlungen der Toba-Batak als Reihendörfer, in denen sich die einzelnen Gebäude gegenüberliegen, konzipiert sind, folgen die Dörfer der Karo-Batak einem weniger strikten Anlageschema. Trotz gemeinsamer Merkmale (rechteckiger Grundriß, Pfahlbaukonstruktion u.a.) offenbaren sich auch im Hausbau kulturelle Unterschiede. Ein typisches Haus der Karo-Batak, die als die geschicktesten Baumeister unter den Batak gelten, besitzt einen hohen, kubischen Raum unter einem mächtigen Walmdach, der innen in durchschnittlich acht Familienabteile untergliedert ist. Damit zeigt das Karo-Batak-Haus eine deutliche Verwandtschaft zu den sogenannten Langhäusern anderer protomalaiischer Stämme, bei denen die einzelnen Wohnabteile allerdings für gewöhnlich einer Längsanordnung folgen (wie z.B. bei den Sippenhäusern der Dayak). Ein beliebtes Schmuckelement der Karo ist das Eidechsenornament. Die Architektur der kleineren, meist nur von einer Familie bewohnten Häuser der Toba-Batak besticht in erster Linie durch die elegant geschwungenen Satteldächer. Ein traditionelles Haus der Toba-Batak ist in drei Zonen gegliedert, in denen sich die kosmische Trinität von Ober-, Mittel- und Unterwelt widerspiegelt. Der unteren Welt entspricht die fast mannshohe Pfahlkonstruktion des Unterbaus, durch die unter dem eigentlichen Haus ein freier Platz für die Haustiere bleibt. Über dem schlichten Wohnraum, der Mittelwelt, erhebt sich pyramidenförmig die Dachkonstruktion, die als Symbol der Götterwelt am aufwendigsten gestaltet ist. Vor allem die Giebelfronten, weniger die Seitenwände, der Toba-Batak-Häuser sind künstlerisch reich verziert mit kultisch bestimmten, überwiegend in den symbolischen Farben Weiß, Rot und Schwarz bemalten Holzschnitzereien. Unter den plastischen Schmuckelementen kommt dem Singa-Kopf eine besondere Bedeutung zu. Dieser stilisierte Kopf eines mythischen Ungeheuers ist ein Fruchtbarkeitssymbol, das zugleich der Abwehr von Dämonen dient. Als Ausdruck des allmählichen Niedergangs alter Kulturformen der Batak kann man den Kontrast zwischen den großartigen ornamentalen Schnitzereien der Fassaden und den immer häufiger verwendeten häßlichen Wellblechdächern interpretieren.

Wie die jungmalaiischen Minangkabau gelten heute auch die protomalaiischen Batak als eine der dynamischsten und fortschrittlichsten Bevölkerungsgruppen Indonesiens. Auch sie stellen heute einen unverhältnismäßig hohen Teil der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes.