Entnommen aus: Cummings/Robinson - Vietnam, Laos, Kambodscha (Traveller Handbuch) Berlin 1991 S.359:


Die Geschichte von Khe Sanh

Trotz des Widerstands hoher Offiziere des Marine Corps gegen die Zermürbungsstrategie von General Westmoreland, die sie für wirkungslos hielten, wurde der kleine Stützpunkt der US Army Special Forces (Green Berets) in Khe Sanh, in dem bis dahin Stammesangehörige rekrutiert und ausgebildet worden waren, 1966 zu einer Festung für die Ledernacken ausgebaut. Im April 1967 begann eine Reihe von ,Bergkämpfen' zwischen den US-Truppen und der gut eingegrabenen nordvietnamesischen Infanterie, die die umliegenden Hügel kontrollierten. Innerhalb weniger Wochen starben 155 Marines und wahrscheinlich Tausende Nordvietnamesen. Die Kämpfe konzentrierten sich auf die Berge 881 Süd und 881 Nord, die beide etwa 8 km nordwestlich des Kampfstützpunkts Khe Sanh liegen.

Ende 1967 entdeckte die amerikanische Aufklärung, daß Zehntausende reguläre nordvietnamesische Soldaten, bewaffnet mit Grantwerfern, Raketen und Artillerie, in die Berge um Khe Sanh strömten. Der Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Vietnam, General Westmoreland, gelangte zu der Überzeugung, daß die Nordvietnamesen ein zweites Dien Bien Phu planten - ein absurder Vergleich, berücksichtigt man die amerikanische Feuerkraft und die Nähe von Khe Sanh zu den Versorgungslinien und anderen amerikanischen Stützpunkten. Präsident Johnson selbst war besessen von dem Schreckgespenst Dien Bien Phu: um den Verlauf der Schlacht zu verfolgen, ließ er ein Sandkastenmodell des Khe Sanh-Plateaus im Weißen Haus aufbauen, und er forderte eine schriftliche Garantie von den Generalstabschefs, daß Khe Sanh gehalten werden könne - ein einmaliger Schritt. Westmoreland, der entschlossen war, ein weiteres Dien Bien Phu um jeden Preis zu verhindern, versammelte eine Armada von 5000 Flugzeugen und Hubschraubern und erhöhte die Truppenstärke in Khe Sanh auf 6000 Mann. Er befahl seinem Stab sogar, den Einsatz taktischer Atomwaffen zu prüfen (!).

Die 75-tägige Belagerung von Khe Sanh begann am 21. Januar 1968 mit einem kleineren Angriff auf die Peripherie des Stützpunkts. Während sich die Marines und die südvietnamesischen Rangers auf einen Großangriff gefaßt machten, stürzten sich die Medien der Welt auf Khe Sanh. Newsweek und Life machten Khe Sanh zur Titelgeschichte und unzählige Zeitungen der ganzen Welt brachten den Ort auf ihr Titelblatt. In den folgenden zwei Monaten war der Stützpunkt permanent Bodenangriffen und Artilleriefeuer ausgesetzt. US-Flugzeuge warfen 100 000 t Bomben auf die unmittelbare Umgebung der Khe Sanh Combat Base ab. Der erwartete Versuch, den Stützpunkt zu erobern, fand niemals statt, und am 7. April 1968 öffneten die Truppen der US-Army nach heftigen Kämpfen die National Route 9 und schlossen sich mit den Marines zusammen, womit die Belagerung beendet war. Heute scheint klar zu sein, daß die Belagerung von Khe Sanh, bei der schätzungsweise 10 000 Nordvietnamesen starben, nur ein großangelegtes Ablenkungsmanöver war, mit dem die US-Truppen und die Aufmerksamkeit ihrer Befehlshaber von den Ballungsgebieten Südvietnams abgezogen werden sollten, wo die Tet-Offensive, die eine Woche nach Beginn der Belagerung begann, vorbereitet wurde. Zu diesem Zeitpunkt betrachtete Westmoreland die gesamte Tet-Offensive jedoch als Manöver, mit dem die Aufmerksamkeit von Khe Sanh abgelenkt werden sollte! Wenige Tage nachdem Westmorelands Dienstzeit in Vietnam endete (Juli 1968), wurden die Truppen aus der Gegend abgezogen. Die Politik war anscheinend revidiert worden, und Khe Sanh zu halten, wofür so viele Menschen gestorben waren, wurde nicht mehr als notwendig erachtet. Nachdem in Khe Sanh alles, was für einen nordvietnamesischen Propagandafilm hätte benutzt werden können, vergraben, gesprengt oder abtransportiert worden war, verließen die US-Truppen die Combat Base. Die Führung hatte endlich begriffen, was ein Offizier der Marines schon lange vorher so ausgedrückt hatte: „Wenn man in Khe Sanh ist, dann ist man eigentlich nirgendwo...Man kann es verlieren und hat dabei einen Dreck verloren."


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