Kriegsgefangenenlager Meschede 1914 - 1918


Seelsorge

Für die Gefangenen war der Besuch des Gottesdienstes eine willkommene Abwechslung in ihrem Lageralltag. In Meschede gab es eine 'Kirchen-Baracke', in der jeden Morgen Gottesdienst stattfand. In seinem Tagebuch beschreibt der Flame Frans Verreck fast täglich von seinem morgendlichen Messbesuch (s. 'Belgische Zwangsarbeiter - Tagebuch über das Lagerleben'). "....Es gab eine Baracke im Lager, die als Kirche verwendet wurde, und Messe wurde jeden Tag und zweimal am Sonntag gehalten, als ein deutscher Priester kam. An Wochentagen wurde der Dienst von einem französischen Priester versehen, und ich pflegte häufig hin zu gehen. Es schien mir sehr gut zu tun, den vertrauten Gottesdienst zu hören, obwohl in der Baracke immer eine große Anzahl von Deutschen mit aufgesetzten Bajonetten unter uns war...." (s. 'Augenzeugen' - Bericht von Richard Racey).

Französische katholische Priester, die als Soldaten im Heer gekämpft hatten, hielten jeden Morgen eine Messe. Katholischer 'Hauptseelsorger' war aber Ferdinand Wagener (1871 - 1931). Nach Theologiestudium, Priesterweihe und Tätigkeit in verschiedenen Orten als Kaplan und Lehrer übernahm er 1912 die Leitung der Höheren Stadtschule in Meschede. Schon bald nach der Gründung des Lagers kümmerte er sich neben seiner Schultätigkeit um die Seelsorge der Gefangenen und die Betreuung der Kranken im Lazarett. "...Rektor Wagener war auch deshalb für die Arbeit als Lagergeistlicher prädestiniert, weil er fünf Sprachen beherrschte. Während des Krieges arbeitete er mit insgesamt 36 gefangenen Geistlichen aus Frankreich und sieben aus Italien zusammen...." (Peter Bürger: Friedenslandschaft Sauerland S. 212).


s. dazu:

Friedenslandschaft Sauerland - Beiträge zur Geschichte von Pazifismus und Antimilitarismus in einer katholischen Region - VI. 'Eine Stadt neben der Stadt' Von Peter Bürger (S. 209 - 214)

Quelle und vollständiger Text: http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots 77.pdf

Werner Neuhaus: Die 'Notizen' des Gefangenenseelsorgers Ferdinand Wagener als kulturgeschichtliche Quelle für die Geschichte des Gefangenenlagers und der Stadt Meschede 1914 - 1919

in: SüdWestfalen Archiv 16/2016 S. 280 - 337

 


Quelle und vollständiger Text: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0000A1F400030000

Ch. Correvon: Eindrücke eines Seelsorgers S. 33 - 39

Bericht eines evangelischen Geistlichen über einen Besuch im Lager Meschede:

"....Wandern wir wieder nordwärts zurück, dem schönen Sauerland zu, mitten in einem poetischen Rahmen von dichten Tannenwäldern und grünen Wiesen. Es ist Sonntag Morgen. Der katholische Herr Kollege kommt gerade aus der „Kirchenbaracke" heraus. Er besitzt drinnen ein Harmonium. Ich begrüße ihn mit Handschlag und einer Gabe für seine Bedürftigen und bitte um die Erlaubnis, sein Instrument auch für unseren Gottesdienst zu benutzen. „Selbstverständlich, gerne”, antwortet der freundliche Seelsorger. Wir treten ein. Vor mir sitzen etliche zwanzig Franzosen, zehn oder fünfzehn Engländer, dann einige Deutschrussen, und vorn einige deutsche Offiziere und Wachmannschaften. „Was wollen wir singen?”, frage ich, etwas besorgt, ein gemeinsames Lied mit einer allen bekannten Melodie zu finden. Der Hauptmann, der am Harmonium sitzt, im Zivilleben evangelischer Direktor einer höheren Töchterschule, schlägt: „Ein' feste Burg“ vor. Ich verteile den Franzosen ein kleines Liederbüchlein, die Deutschrussen kennen beinahe alle Lieder auswendig, die Reichsdeutschen erst recht, die Engländer auch. Und da erschallt, gewaltig und männlich, in dieser Lagerbaracke, die wir in einen Gottestempel umgewandelt haben, das Lied, das unsere deutschen Soldaten an der Front am liebsten sangen, die „Marseillaise der evangelischen Kirche”, wie jemand das Lied, einst genannt hat. Dann kommt die Predigt, — irre ich mich nicht, über den Text: „Simon, Jonas Sohn, hast du mich lieb?” Es folgt das den meisten bekannte Lied der sinkenden Titanic: „Näher, mein Gott, zu dir". Und schließlich das Gebet. „So", sage ich, „jetzt wollen wir einmal sehen, wie weit oder wie tief unser Glaube reicht . . . Laßt uns miteinander beten, nicht als Feinde, sondern als Christenmenschen, die nur einen Gott und einen Altar haben. Und wir gedenken der Kriegsgefangenen in ihrer Einsamkeit, in ihren Nöten, in ihrer Sehnsucht nach Familie und Vaterland, in ihren Entbehrungen und Schmerzen, wir schließen die in der Nähe im Lazarett schmachtenden Kranken und Sterbenden ein, wir bitten für die Völker und ihre Regierenden, auch für die Wachmannschaften, Offiziere und Soldaten des Lagers, für „dieses Land“ und seinen Kaiser, den Nachkommen des frommen und großen Admirals Gaspard de Coligny . . .

Alles ist still geworden, auch in den bewegten und leidenden Herzen. Eine reine, würzige Luft aus den himmlischen Höhen weht durch die Reihen der Feinde und der Freunde. Eine höhere als menschliche Macht der Liebe zieht Alle hin zum heiligen Zeichen der ewigen Barmherzigkeit und Huld Gottes. Haß und Grimm treten zurück, alle Herzen schlagen einmütig für eine Sache und für einen Gott. „Es fehlt wahrhaftig nur noch das heilige Abendmahl“, sagt zu mir ein teilnehmender deutscher Offizier. Diese Augenblicke muß man erlebt haben, um mitten im Sturme des Krieges die versöhnende, ausgleichende und harmonische Macht der Religion zu erkennen, die dem Apostel die Worte in die Feder diktiert hat: „Alle Dinge müssen denen, die Gott lieben, zum besten dienen". Hier bewahrheitet sich das berühmte Wort des Julianus Apostata: „O Galiläer, du hast gesiegt“! Oder ist es nicht etwas erhebendes, etwas großes, etwas geheimnisvolles um diese mitten in den Tränen des Krieges alle Feindschaft überwindende Gemeinschaft und Solidarität des Glaubens, die Gott in die Menschenseele, in die deutsche, in die französische, in die russische, in die englische hineingesenkt hat?
Ich trete aus der Baracke, werfe noch einen Blick auf das von den Gefangenen selbst geschnitzte Kruzifix, auf den von ihnen schön geschmückten Altar, gehe durch die Reihen der Gewehr bei Fuß stehenden deutschen Soldaten, und da haftet sich mein Blick auf eine von vier starken Männern gehaltene Tragbahre - Ein Schwarzer, Senegalese, Afrikaner, Marokkaner, wer weiß, liegt da, mit 40° Fieber. Wird er davonkommen? Vielleicht nicht . . . Und dann wird in eine Hütte des schwarzen Kontinents die Trauerbotschaft gebracht werden.
Ich trete ins Lazarett. Ein Sterbender liegt da, mitten in der linken Bettreihe. Ein halb wahnsinniger Mensch neben ihm stört mit seinem Stöhnen das Ende des Kriegers. Am Fuß des Bettes steh ich still und sinne und denke und bete, der Worte des an der Mündung der Elbe heldenmütig in die Fluten sinkenden Herzogs von Mecklenburg eingedenk: „Herr, gib mir ein schnelles Ende und nimm uns in deinen Himmel auf“!
Dies in einem Lazarett. Von hier habe ich auch die tiefsten, die ergreifendsten Eindrücke mitgenommen in diesem gewaltigen Kriege. ...."


Inhalt Lager